27. April 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch
Sperger / Kammerakademie Potsdam

Sperger / Kammerakademie Potsdam

Schon lange ist Johannes Matthias Sperger (1750–1812), der zuletzt in der Hofkapelle des Mecklenburg-Schweriner Herzogs tätig war, kein Unbekannter mehr – und zwar sowohl auf dem Kontrabass wie auch als versierter Komponist seiner Zeit. Geläufig ist vielleicht seine «Anfangs-Sinfonie» (ein originelles Spiegelbild von Haydns «Abschieds-Sinfonie»); die Solokonzerte für «sein» Instrument haben es jedoch in sich. Auch der verschrobene Charakter in Patrick Süskinds Einakter Der Kontrabaß weiß darüber ein kurzes Klagelied anzustimmen. Beim Label cpo hat Spergers Musik seit einigen Jahren einen festen Platz, so dass aus dem Bereich der Kammermusik

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Lamoninary / Ensemble Hemiolia

Lamoninary / Ensemble Hemiolia

In der Ausgabe #111 widmet sich die Hörbar nicht etwa Einspielungen einer der bekannten Klaviersonaten Beethovens, auch nicht längst vergriffenen Veröffentlichungen des legendären Labels opus 111, sondern Produktionen, die sich einem «Opus 1» widmen. Die recht bunte Runde eröffnet die 1749 in Paris gedruckte Sammlung von Triosonaten eines gewissen Jacques-Philippe Lamoninary (1707–1802) – ein großer Unbekannter der Musikgeschichte. Wer in der MGG (auch online) sucht, wird nichts finden. Er soll sehr gut die Violine beherrscht haben, aber nach Paris scheint es ihn nicht (zumindest nicht nachhaltig) gezogen zu haben: Nach

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Maarten Ter Horst / Helikon Quartet

Maarten Ter Horst / Helikon Quartet

«Aimez-vous Brahms?» So jedenfalls wird man nach dem ersten Satz des hier eingespielten Streichquartetts Nr. 1 e-Moll aus den Jahren 2017/20 fragen. Natürlich handelt es sich um kein Plagiat, aber Maarten Ter Horst (*1987) knüpft hier ganz bewusst an der Harmonik und dem musikalischen Ausdruck der fortschreitenden zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an. Der Gestus erinnert tatsächlich in einzelnen Passagen an den großen Hamburger, dann aber geht es in Sequenzstrecken und Tremoli weiter, die einen eher an Schubert denken lassen. Ein Werk für eine Blindverkostung, die wohl manchen Experten in

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Stefano Scodanibbio / Arditti Quartet

Stefano Scodanibbio / Arditti Quartet

Seit seinem Tod ist es um die Musik von Stefano Scodanibbio (1956–2012) recht ruhig geworden. Das vorliegende Album eingeschlossen, sind lediglich drei CDs erschienen – zu wenig, wenn man sich auf die fantastische Klangwelt des zuletzt in Mexiko lebenden Italieners einlässt. Als der wohl bedeutendste Kontrabassist seiner Zeit kann Scodanibbio als Prototyp des alten wie neuen Interpreten-Komponisten gelten: Durch die von ihm erforschten und eingeführten Spielweisen erweiterte er auch seine eigene musikalische Sprache – nicht nur auf dem Bass, sondern weit darüber hinaus und wie hier für Streichquartett. Das bereits

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Klaus Fischer-Dieskau / Albis Quartett

Klaus Fischer-Dieskau / Albis Quartett

Wen das Lesen dieses Namens überrascht, dem ergeht es beim Hören der Musik kaum anders. In der Tat handelt es sich bei Klaus Fischer-Dieskau (1921–1994) um den älteren Bruder des deutschen Lieder-Fürsten Dietrich Fischer-Dieskau, der mit seiner markanten, das Wort ausdeutenden Art des Vortrags mindestens eine ganze Generation geprägt hat. Um den älteren ist es hingegen weitgehend ruhig geblieben und – noch mehr – geworden: Wohl nur in Berlin ist Klaus Fischer-Dieskau als ehemaliger Leiter des Hugo-Distler-Chors im Gedächtnis; dass er auch komponierte, dürfte nur wenigen bekannt oder erinnerlich sein.

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Javier Quislant / Klangforum Wien

Javier Quislant / Klangforum Wien

Auch wenn das Album nur eine Spielzeit von knapp 48 Minuten aufweist: Man wird wahrlich weit mehr Zeit, ruhige Zeit, aufwenden müssen, um sich mit den hier exponierten Klanggestalten von Javier Quislant (*1984) vertraut zu machen. Die vier Sätze von Sinuoso Tiempo (2019–2021), was soviel bedeutet wie «gewundene Zeit», werden dabei im Untertitel als «Cycle for String Quartet» bezeichnet – eine Bezeichnung allerdings, der der recht flexible Ablauf des Werks kaum entspricht, ihr sogar zuwider läuft: So gibt der Komponist selbst an, dass der (zuerst entstandene) 4. Satz auch unabhängig

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Johan Kvandal / Engegård Quartet

Johan Kvandal / Engegård Quartet

Es mag noch immer überraschen, dass Mitte des 20. Jahrhunderts im Norden Europas keine radikalen ästhetischen Brüche zu verzeichnen waren, obwohl auch dort der Zweite Weltkrieg seine Spuren hinterlassen hatte. Dies gilt nicht nur für Schweden, sondern auch für Norwegen und hier insbesondere für Johan Kvandal (1919–1999), der neben seiner schöpferischen Tätigkeit in Oslo als Organist und Musikkritiker arbeitete. Seine nun auf einem Album neu und vollständig eingespielten Streichquartette geben Einblick in ein vollkommen unabhängiges Schaffen, das seine Wurzeln in der spätromantischen deutschen Schule in Leipzig (Karl Marx) hat und

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Musik aus dem alten Stralsund

Musik aus dem alten Stralsund

Auf dem Cover der Einspielung gibt ein Kupferstich einen guten Eindruck von der alten Hansestadt Stralsund. Aber nur wer einmal selbst in der großartigen Marienkirche, der massiv mit ihren Türmen aufragende Nikolaikirche oder der Jacobikirche stand, wird ermessen, welche wirtschaftliche Bedeutung der Stadt am Strelasund einst zukam. Freilich: Als Eucharius Hoffmann (1540–1588), Johann Vierdanck (1605–1646) und Caspar Movius (1610–1671) hier wirkten, war die mächtige Hanse längst Geschichte – nur der Stolz sowie die alten, bewährten Verbindungen in den gesamten Ostseeraum waren geblieben, und dies unter den schwierigen Bedingungen des Dreißigjährigen

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Nunc dimittis

Nunc dimittis

Es sind die «Sammler», die für die Nachwelt wichtige Zeitzeugnisse bewahren. Zu ihnen zählt Gustav Düben (1628–1690) – ab 1663 Organist der Deutschen Kirche in Stockholm und Kapellmeister am schwedischen Königshof. Angesichts der von ihm und seinem Sohn zusammengetragenen mehr als 2.000 Manuskripte und Drucke umfassenden Sammlung haben die Nachfahren äußerst weise gehandelt, diesen Schatz nicht etwa in Einzelstücken zu veräußern (wer hätte sich dort im frühen 18. Jahrhundert auch ernsthaft für diese «alte» Musik interessiert?), sondern der Universitätsbibliothek Uppsala zu übergeben. Dort überdauerte die Sammlung fast vergessen die Jahrhunderte

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Thomas Selle

Thomas Selle

Dass es Salzwedel in der Altmark einmal zu musikgeschichtlicher Bedeutung bringen sollte, war nicht ausgemacht. Tatsächlich war es wohl eher ein Zufall, dass eine umfangreiche Handschrift mit knapp 250 Werken von Thomas Selle (1599–1663) und einigen seiner Zeitgenossen in die Stadt und die Kirchenbibliothek gelangte und sich hier erhalten hat. Das Besondere an den Manuskripten sind die über 400 Jahre alten Vermerke von Selle selbst, der Namen von Musiken vermerkte, seinen eigenen Part mit «ego» bezeichnete, sowie eigene Werke bewertete und wohl auch aussonderte («ist schlecht»); darüber hinaus finden sich

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Balthasar Erben

Balthasar Erben

In der Musikgeschichte begegnen immer wieder Komponisten und Interpreten mit einer überraschend modernen Biographie – und dies sogar in der Mitte des 17. Jahrhunderts. Kaum vorstellbar etwa, dass dem in Danzig geborenen Balthasar Erben (1626–1686) mit 27 Jahren nicht etwa die herausragende Stelle des Kapellmeisters an der Hauptkirche St. Marien zugesprochen, sondern er vom Rat der Stadt mit einem großzügiges Stipendium versehen wurde, um sich (wie es hieß) in der Welt umzusehen und sich als Komponist zu vervollkommnen. Und so bereiste Erben über fünf Jahre Holland und England, Frankreich und

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Copenhagen Connections

Copenhagen Connections

Musikalisch glich der gesamte Ostseeraum im 17. Jahrhundert einer blühenden Landschaft. Zahlreiche Musiker vor allem aus der protestantischen Mitte Deutschlands strömten in politisch und wirtschaftlich unsicheren Zeiten gen Norden, setzten über – und belebten so eine weitflächige Region von Kopenhagen über Riga bis Stockholm. Hilfreich waren da die alten Hanse-Beziehungen mit ihrem ausgebauten Wegenetz, zudem galt die deutsche Sprache als «Lingua franca». Mit Einflüssen aus den Niederlanden, aus Italien und dem mitteldeutschen Raum entstand so eine noch bis heute faszinierende Fülle an Ausdrucksformen – zu einer Zeit, in der das

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