6. Dezember 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Nunc dimittis

Nunc dimittis
Nunc dimittis
Es sind die «Sammler», die für die Nachwelt wichtige Zeitzeugnisse bewahren. Zu ihnen zählt Gustav Düben (1628–1690) – ab 1663 Organist der Deutschen Kirche in Stockholm und Kapellmeister am schwedischen Königshof. Angesichts der von ihm und seinem Sohn zusammengetragenen mehr als 2.000 Manuskripte und Drucke umfassenden Sammlung haben die Nachfahren äußerst weise gehandelt, diesen Schatz nicht etwa in Einzelstücken zu veräußern (wer hätte sich dort im frühen 18. Jahrhundert auch ernsthaft für diese «alte» Musik interessiert?), sondern der Universitätsbibliothek Uppsala zu übergeben. Dort überdauerte die Sammlung fast vergessen die Jahrhunderte – und gibt erst seit ein paar Jahrzehnten neben bekannten Werken von Dietrich Buxtehude Stück für Stück mittels Kontextualisierung, beständige Quellenforschung und Vergleiche (RISM sei Dank!) und modernen Verfahren der Schreiberbestimmung ihre Geheimnisse preis.

Eine andere Sache aber ist die klangliche Realisierung der Kompositionen. Buxtehudes Passionsstück Membra Jesu nostri etwa ist vielfach eingespielt worden und gelangt hin und wieder live zur Aufführung. Das meiste aber ist noch immer «unerhört». Allein das vorliegende Album versammelt unter den zwölf Tracks acht Ersteinspielungen (wenn auch teilweise nur von abweichenden Fassungen). Dabei verblüffen die Vielfalt und das Aufscheinen von Einflüssen aus der Nähe wie auch aus weiter Ferne (Dresden). Düben muss ein Sammler gewesen sein, der die stilistische Breite seiner Zeit in sich aufsog und sie in gewisser Weise zu referenzieren und zu bewahren suchte. Entsprechend «bunt» ist auch die gelungene Auswahl der von Jörg-Andreas Bötticher und seinem Kirchheimer Dübenconsort musizierten Werke (mit Dominik Wörner und seinem angenehmen flexiblen, kammermusikalisch geführten Bass). Neben Vokalmusik erklingen alternierend Sonaten und Suiten. Dass mit dem Laetatus sum von Carlo Pallavicino (1630–1688) auch ein Werk der Zukunft vertreten ist, zeigt die Lebendigkeit der Düben-Sammlung wie auch die der Einspielung. Interpretatorisch wie akustisch bleiben keine Wünsche offen. Ein echter «Hinhörer».

Nunc Dimittis
Music from the Düben Collection
David Pohle. Sonata à 5 in C; Kaspar Förster. Jesu dulcis memoria; Crato Bütner. Canzon à 3 in G; Samuel Capricornus. Salvum me fac; Gaudens gaudebo; anonymus. Sonata à 5 in G; Johann M. Nicolai. Sonata à 2 in d; Sonata à 2 in G; Johann Krieger. Dominus illuminatio mea; Sebastian Knüpfer. Suite in d; Heinrich Schütz. Herr, nun lässest du deinen Diener; Carlo Pallavicino. Laetatus sum
Dominik Wörner (Bass), Kirchheimer Dübenconsort, Jörg-Andreas Bötticher

Passacaille PAS 1081 (2020)

HörBar<< Thomas SelleMusik aus dem alten Stralsund >>

Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

    View all posts
hoerbar_nmz

Der HörBar-Newsletter.

Tragen Sie sich ein, um immer über die neueste Rezension informiert zu werden.

DSGVO-Abfrage*

Wir senden keinen Spam! Erfahre mehr in unserer Datenschutzerklärung.

Teil 4 von 5 in Michael Kubes HörBar #109 – Musica Baltica