1. Mai 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch
1. Josquin

Josquin, the Undead

Nachdem im 14. und 15. Jahrhundert zahlreiche Komponisten (die zugleich wohl auch immer Sänger waren) zusehends aus dem Dunkel der Namenlosigkeit getreten waren, bildete sich an der Wende zum 16. Jahrhundert um Josquin Desprez und sein Schaffen ein geradezu modern anmutender Kult. Sein für jene Zeit ungeheures Selbstbewusstsein – möglicherweise inszeniert, mit Sicherheit aber auf einer in ganz Europa anerkannten schöpferischen Potenz gründend – schreckte jedenfalls Herzog Ercole I. d’Este nicht, den offenbar Unbequemen nach dessen Bedingungen 1503 als Kapellmeister zu engagieren. Bereits ein Jahr später verließ Josquin jedoch schon

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Igor Strawinsky Edition / Warner

Igor Strawinsky Edition / Warner

Zu den wenigen verbliebenen «Majors» der Klassik gehört auch Warner mit all seinen Labels und deren prall gefüllten Archiven. Natürlich reiht man sich da nur allzu gerne in den «Boxen-Stopp» zu Strawinskys 50. Todestag ein. Die dazu produzierte 23 CDs umfassende Edition kann zwar keine Vollständigkeit beanspruchen, was das Œuvre angeht, und doch bietet sie viel mehr als andere: Zusätzlich finden sich auf zwei randvoll bespielten Scheiben mit Transkriptionen (einer Art «Anhang» des klingenden Werkkatalogs) neben den bekannten Arrangements von Sacre und Petruschka für Klavier (vom Komponisten selbst angefertigt) auch

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New Strawinsky Edition / DG

New Strawinsky Edition / DG

Da haben wir’s beim genaueren Hinsehen: Bei einer Box, auf der werbewirksam «The New Complete Edition» steht, muss es (so darf man schließen) auch eine ältere Zusammenstellung geben. Und tatsächlich! Es ist noch nicht einmal sechs Jahre her, da hatte die Deutsche Grammophon bereits einen ähnlichen Quader auf den Markt geworfen. Wo aber liegen nun heute, im Gedenkjahr 2021, die Unterschiede zu jener Collection, die noch immer hie und da angeboten wird, sich weiterhin in den Tiefen der Label-Homepage finden lässt und dort offenbar bleibend mit den Worten «erstmalig sämtliche

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Strawinsky / Chailly / Decca

Strawinsky / Chailly / Decca

Die Erfahrung des Lebens lehrt, dass man nicht allzu lange auf eine momentan gewährte «Exklusivität» zählen kann. So mag man dem Zusatz «Limited Edition« schon gar nicht mehr recht Glauben schenken. Zu oft konnte man unter diesem alarmierenden Werbebanner in der Vergangenheit einfache Zusammenstellungen finden, zu oft wurde das Versprechen alsbald durch umgestaltete oder erweiterte Veröffentlichungen gebrochen. Und manchmal beschleicht einen mit Blick auf die eingestempelte Nummer des Exemplars ohnehin das Gefühl, dass die Auflage viel zu hoch angesetzt wurde – die «Exklusivität» mithin noch über Jahre oder Jahrzehnte für

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Strawinsky / Bernstein / Sony

Strawinsky / Bernstein / Sony

Wenn nun schon eine Edition mit Strawinskys eigenen Einspielungen aktuell nicht greifbar ist, so doch all die Aufnahmen, die unter Leonard Bernstein zwischen 1947 und 1972 für RCA Victor und Columbia entstanden – von Sony in Nachbildungen der originalen «Jackets» und in Anlehnung an die «Labels» auf 6 CDs «geboxed». Freilich, so ganz stimmt das nicht: Der älteren Produktion vom Sacre (New York Philharmonic, 1958) wurde auf der CD noch die Suite (1919) des Feuervogels beigegeben (auf der LP war sie mit Tschaikowskys Romeo und Julia-Ouvertüre gekoppelt), ebenso gesellt sich

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Works of Igor Strawinsky / Sony

Works of Igor Strawinsky / Sony

Im Vergleich zum Sacre-Jubiläum von 2013 ist heuer nahezu ohne größere Aufmerksamkeit im Konzertleben der 50. Todestag von Igor Strawinsky verstrichen. Das hat aktuell verschiedene Ursachen, liegt aber sicherlich auch an der teilweisen Sperrigkeit seines späten Schaffens. Dennoch überrascht es, dass nicht alle großen Labels gleichermaßen ihre Archive nach Schätzen durchforstet haben. Es muss ja nicht immer «jede Note» sein, gelegentlich tut es auch eine wirklich repräsentative Werkauswahl. Aber dass die in den 1960er Jahren unter der Leitung des Komponisten selbst entstandenen Einspielungen derzeit nicht als Box verfügbar sind, ist

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Mannheim 1778 / Letzbor, Traxler

Mannheim 1778 / Letzbor, Traxler

Mozart in Mannheim (und in Paris). Über diese Zeit sind bereits ganze Bücher geschrieben worden, und doch muss man vielleicht eher diese biographischen Stationen «nachfühlen«, um ansatzweise zu verstehen, was dem jungen Komponisten in diesen Jahren und Monaten widerfahren ist. Konkrete Spuren davon wird man kaum in seiner Musik finden, mehr aber wohl in seinen Briefen – zwischen Liebesfreud (Aloysia Weber) und tiefer Trauer um die Mutter. Aus dieser Zeit stammen die in Paris als «Opus 1» gedruckten Sonaten für Clavier und Violine (KV 301–306). Angeregt durch eine ähnliche Komposition

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Edinburgh 1742 / Ensemble Maryas

Edinburgh 1742 / Ensemble Maryas

Es gibt in der Musikgeschichte immer wieder überraschende Konstellationen. Dazu zählen auch die Jahre des aus Lucca stammenden Francesco Barsanti im schottischen Edinburgh, die zugleich als seine produktivsten gelten. Hier hat er offenbar auch seine besten Werke hervorbracht. Nach England kam Barsanti (1690–1770) 1714 gemeinsam mit Francesco Geminiani, zwanzig Jahre später wandte er sich gen Norden, wo er als Musikmeister in der Edinburgh Musical Society tätig war. Neben eigenen Kompositionen widmete er sich auch den traditionell überlieferten Liedern und Gesängen (erstaunlich, dass diese wohl jede Generation von Komponisten faszinierten) und

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Leipzig 1723 / Capricornus Consort Basel

Leipzig 1723 / Capricornus Consort Basel

Wer hat darüber nicht schon einmal zu später Stunde bei einem Glas guten Rotweins sinniert? Was wäre wenn… Wenn etwa im Falle Telemanns die Stadt Hamburg oder bei Christoph Graupner der Darmstädter Fürst eben nicht ein paar Goldmünzen draufgelegt hätten (um sie bei der Stange zu halten) und der eine oder andere die Wahl zum Thomaskantor angenommen hätte? Oder auch Johann Friedrich Fasch, der sich schon früh selbst aus der Konkurrenz genommen hatte, als er auf eine Anstellung als Hofkapellmeister in Zerbst einschlug. Wie wäre die Musikgeschichte dann verlaufen, etwa

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London ca. 1720 / Le Rêveuse

London ca. 1720. Corelli’s Legacy / La Rêveuse

Dieses Album wirft einen so hochinteressanten wie farbigen Blick auf die Themse-Metropole zu Beginn des 18. Jahrhunderts – einer Zeit, in der sich das bürgerli­che Musikleben Londons in großen Schritten zu einem der aufregendsten von ganz Europa entwickelte. Hier konnte man als Impresario mit ansprechenden Inszenierungen im Handumdrehen reich werden und ebenso rasch bankrott gehen. Seit 1705 überrollte außerdem die italienische Musik alle Bühnen, Konzertsäle und privaten Salons. Zugleich verbreiteten rührige, strategisch geschickte Verleger die jeweils aktuelle Musik in zahlreichen Arrangements. Dass sich dabei nicht alles gleich um Georg Friedrich Händel

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1717 / Ensemble Scaramuccia

1717. Memories of a Journey to Italy / Scaramuccia

Musik nach Jahreszahlen zu ordnen, ist eine reizvolle Sache. Für die jüngst vergangenen Jahrzehnte fallen einem dazu wie selbstverständlich die im Dezember präsentierten Jahres-Charts ein; ältere Zeiten eröffnen hingegen (kultur-)geschichtliche Zusammenhänge. Im besten Fall zeigen sie uns Nachgeborenen etwas von der Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen – vor allem, wenn man sich das jeweilige Jahr mit den Augen und Ohren der Zeitgenossen zu denken versucht. Dass damit auch ein gewisser Reiz einhergeht, auch weniger bekannte Musik einem breiteren Auditorium schmackhaft zu machen, zeigen all jene Alben, die zuletzt mit einem entsprechenden «Jahresmotto»

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Joseph Haydn / Giovanni Antonini

Joseph Haydn / Giovanni Antonini

Früher hatten nach Vollständigkeit strebende Langzeitprojekte in der Musik ein hohes Ansehen. Ich erinnere mich an sämtliche Mozart-Sinfonien unter Karl Böhm (noch ganz frei von den Erkenntnissen der historischen Aufführungspraxis) und natürlich an die Bach-Kantaten unter Nikolaus Harnoncourt – den LP-Kassetten waren in den großformatigen Beiheften sogar die entsprechenden Partituren der Alten Bach-Ausgabe beigegeben. Ein in dieser Weise auf weit denkende, lesekundige Hörer abzielender Coup erscheint heute undenkbar. Dann kam Anfang der 1980er Jahre die großartige, umfassende Haydn-Edition bei Telefunken/Decca – ein anfänglich noch in blaues Leinen(!) eingeschlagener mehrteiliger Altar

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