Doch genau dort darf man, muss man sich reiben. Wo andere für einige Tage ins Studio gehen, hat in diesem Fall ein einziges Konzert gereicht: Für den Mitschnitt vom 15. Dezember 2019 reichte es aus, ein paar Mikrophone mehr in die Carnegie Hall zu hängen. Gewonnen wird damit eine gewisse Unmittelbarkeit, verloren gegangen ist damit aber eine nachhörende Kontrolle – gerade wenn es um eines der wahren «Meisterwerke» geht, von der die DiDonato im Booklet so emphatisch spricht. So aber hört man nicht nur gelegentliches Husten und Rascheln, sondern auch Unebenheiten in der Gestaltung – stimmlich, farblich, vor allem aber in der Aussprache, die seltsam manieriert und damit in ihrer aufgesetzten Emotionalität befremdlich wirkt. Es ist ohnehin die durchgehend extrovertierte, nicht selten gar opernhafte Gestaltung (irritierend im Irrlicht), die der Erzählung ihre eigene, tiefe und perspektivenreiche Fiebrigkeit nimmt. Yannick Nézet-Séguin erweist sich (hier einmal ohne Taktstock) als aufmerksamer Begleiter – er regte die Einspielung überhaupt erst an –, vermag aber mit seinem korrekt-klaren Spiel und allzu bildhaften Verdeutlichungen nicht wirklich zu überzeugen: Für die Imagination des Hörers bleibt da kein Platz.
Franz Schubert. Winterreise D 911
Joyce DiDonato (Mezzo), Yannick Nézet-Séguin (Klavier)
Erato 0190295284145 (2019)