Bereits vor zwei Jahren erschien diese Einspielung der Winterreise mit Benjamin Bruns. Aufgenommen wurde sie im Februar 2018 im Katharinensaal der Hochschule für Musik und Theater Rostock – ein mittelgroßer Saal, der sich wohl bestens für Liederabende vor Publikum anbietet. Für eine Audio-Produktion kann solch eine Räumlichkeit, zumal im leeren Zustand, allerdings auch zu einer Forcierung verleiten, obwohl die Gattung «Lied» doch der Idee nach eine sehr private ist. Zuhause in der bürgerlichen guten Stube oder im Salon bahnte sich das Lied erst langsam einen Weg in den Konzertsaal: zunächst nur als Einlage in die ohnehin gemischten Programme, dann (aufgrund der Einsicht, dass in diesem Kontext Stimme und Klavier häufig klanglich abfallen) mit vielfach ausdeutender orchestraler Instrumentation (Berlioz, Brahms, Reger, Strauss).
Missverständlich wird es daher, wenn die Stimme im Vergleich zur ursprünglichen Klavierbegleitung zu groß geführt wird, sinfonische Farben und Fülle mitgedacht werden. Dieser Eindruck jedenfalls drängt sich bei der Interpretation dieser winterlichen Reise durch Benjamin Bruns auf. Denn seine Präsenz drückt fallweise so sehr, dass sich Schuberts feinsinniges Spiel mit Wort und Ton nicht frei entfalten kann, die mehrdimensionale Tiefe der Komposition vielfach verschlossen bleibt. Der Wanderer über Eis und Schnee hadert hier nicht mit sich, seinem Liebchen und der Welt, sondern wirkt wie ein erkaltender Erzähler, der bewusst für das Auditorium deklamiert. Schon das erste «fremd» (Gute Nacht) bildet den Wegweiser zu einer seltsam reservierten atmosphärischen Starre, in der eine abgestufte stimmliche Modulation als Ausdruck des Schwankens zwischen Hoffnung und Hoffnungslosigkeit ausbleibt; der Kragen bleibt stets hochgeschlagen. Dieser Eindruck erstreckt sich auch auf das Klavierspiel von Karola Theill, die dem Flügel zu wenige Facetten entlockt.
Franz Schubert. Winterreise D 911
Benjamin Bruns (Tenor), Karola Theill (Klavier)
hänssler classics HC 19025 (2018)