14. Oktober 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Maximilian Schairer / Gloaming

Maximilian Schairer / Gloaming
Maximilian Schairer / Gloaming
Wie kann man die Raunächte am Jahreswechsel musikalisch besser überstehen als mit Fantasien – zumal wenn das Album unter dem passenden Motto Gloaming (Dämmerung) steht? Fraglich bleibt allerdings, was oder wem es hier dämmert. Sind es die Werke selbst, die im weitesten Sinne fantastische Welten eröffnen? Oder bezieht sich die Dämmerung auf den jungen Maximilian Schairer, der mit dieser Debüt-CD bei hänssler classic in den Ring aufstrebender Pianisten steigt? Respekt verdient zunächst das ausgewählte Repertoire, das ganz unterschiedliche Perspektiven bietet: Schuberts Wanderfantasie als zyklisches Schwergewicht, Beethovens Mondschein-Sonate als Evergreen, eine weithin unbekannte Fantasie des jungen Mendelssohn – und eine unvollendete, von Beethovens offenbar zu Beginn seiner Wiener Zeit skizzenhaft notierte, viele hundert Takte zählende Fantasie (erstmals 1970 von Joseph Kerman veröffentlicht).

Für ein Debüt hätte es sich Maximilian Schairer tatsächlich bequemer machen können. Er zeigt in dieser Auswahl mit zwei Hochkarätern aber den Mut, den es braucht, um sichtbar außerhalb der langen Schatten bestehen zu können. Dass er auf einem ordentlichen Weg ist, zeigen die sehr soliden, gelegentlich mit Überraschungen aufwartenden Interpretationen. Man hört Schairer dabei zu, wie er diese Produktion denkend gestaltet: Er bekennt sich bei Schubert zur einer verblüffend klassizistischen Sicht, packt kontrolliert zu, vermeidet aber dynamische Extreme. Auch die Mendelssohn-Fantasie verweht nicht in romantischen Bildern und Momenten; das Finale der Mondschein-Sonate wird eher präzise geformt als unwirsch bewältigt. Dass die längliche Beethoven-Skizze irgendwie zu einstudiert wirkt – geschenkt. Hoffentlich bleibt dem jungen Interpreten in den nächsten Monaten und Jahren Zeit, um sich freizuspielen und den wunderschön ausgehörten Stellen Feuer zu geben. – Das Instrument wird ohne große Räumlichkeit eher nüchtern und trocken abgebildet.

Gloaming. Fantasien für Klavier
Franz Schubert. Fantasie C-Dur D 760 «Wanderer-Fantasie»; Felix Mendelssohn Bartholdy. Fantasie fis-Moll op. 28 «Schottische Sonate»; Ludwig van Beethoven. Klaviersonate Nr. 14 cis-Moll op. 27/2 «Mondschein-Sonate»; Fantasie D-Dur / d-Moll Unv 12 (Kalka-Skizzenbuch, London 1970)
Maximilian Schairer (Klavier)

hänssler classic HC 22020 (2022)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 1 von 4 in Michael Kubes HörBar #106 – Fantasien