26. April 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Luigi Dallapiccola: Il Prigioniero

Luigi Dallapiccola: Il Prigioniero
Luigi Dallapiccola: Il Prigioniero

Nach zwei Folgen mit Orchesterwerken und einer Pause von einem Jahrzehnt überrascht das britische Label Chandos mit einer Oper von Luigi Dallapiccola (1904–1975). Wirkliches Neuland wird dabei freilich nicht betreten. Denn von dem Einakter Il Prigioniero (1944–1948) liegen schon wenigstens vier andere Produktionen aus den Jahren 1967 (Ettore Gracis), 1974 (Antal Doráti), 1995 (Esa-Pekka Salonen) und 2016 (Dirk Kaftan) vor. Warum also diese Einspielung einer Partitur, die nach der Uraufführung oft gespielt wurde, heute aber auf der Bühne eher zur Rarität geworden ist? Oder darf man nun auch Neuaufnahmen von Volo di notte (1937–1939) oder gar von Ulisse (1960–1968) erwarten?

Die vorliegende Einspielung aus Kopenhagen begeistert jedenfalls schon jetzt musikalisch durch einen intensiv gestaltenden Michael Nagy in der Titelrolle, im Verlies der spanischen Inquisition zwischen Angst und Hoffnung schwankend, die Chance zur Flucht ergreifend – und zu spät erst erkennend, dass auf perfide Art nur gespielt wurde: die Hoffnung auf Freiheit als letzte Tortur. Obwohl Dallapiccola sich bei der Komposition bereits der Dodekaphonie zugewandt hatte, blieb diese bei ihm nur kompositorisches Verfahren. Ohnehin Individualist, gelang ihm in der Begrenzung eine unorthodoxe Auseinandersetzung, die in vielen Passagen seltsam tonal wirkt, kantabel ausgearbeitet ist und (ganz der Gattungstradition verpflichtet) auf große Bögen setzt.

Mit den interpolierten und parallelen Chorsätzen stellt sich darüber hinaus beim Hören auch ohne «Inszenierung» ein intensives Ausdruckserlebnis ein, das wiederholt neugierig macht auf diesen im deutschsprachigen Musikleben nie wirklich angekommenen Komponisten. Die Koppelung mit a-cappella-Sätzen, der ersten Serie der Michelangelo-Vertonungen (1933) und Estate (1932) ist angesichts der Bedeutung des Chores in Il Prigioniero nur folgerichtig und zeigt die zugrunde liegende kluge Dramaturgie.


Luigi Dallapiccola. Il Prigioniero (1944–1948), Prima Serie dei Cori di Michelangelo Buonarroti (1933), Estate (1932)
Anna Maria Chiuri (Mezzo), Michael Nagy (Bariton), Stephan Rügamer (Tenor), Adam Riis (Tenor), Steffen Bruun (Bass), Danish National Radio Choir, Danish National Symphony Orchestra, Gianandrea Noseda

Chandos CHSA 5276 (2019)

 

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