26. April 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch
Stradella / Il Trespolo tutore (1679)

Stradella / Il Trespolo tutore (1679)

Seine riskanten Liebschaften wurden ihm am Ende zum Verhängnis. Überlebte der aus Venedig geflohene Alessandro Stradella (1643–1682) in Turin noch ein rächendes Attentat, so wurde er schließlich vier Jahre später in Genua wegen einer anderen Causa auf offener Straße erstochen. Nun gilt für den am Ende 39 Lenze zählenden Komponisten nicht ganz die Sentenz «Lebe schnell, sterbe jung», aber die biographischen Umstände haben in der Musikgeschichte schon etwas Einzigartiges und würden einen fesselnden «Tatort» abgeben, während auf der Opernbühne die ganze Sache bei Flotow und César Franck weitaus glücklicher und

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Montéclair / Jephté (1737)

Montéclair / Jephté (1737)

Carissimi und Händel setzten das alttestamentarische Drama um Jephta und die Opferung seiner Tochter in großen Oratorien um, in Paris hingegen erkannte man schon zu Beginn des18. Jahrhunderts das große Bühnenpotenzial des Plots. Und so schuf zunächst Simon-Joseph Pellegrin ein Libretto gegen alle ungeschriebenen Gattungstraditionen, später dann Michel Pignolet de Montéclair (1667–1737) eine Partitur, die zu dem Besten und Zukunftsweisendsten zählt, was an der Seine zu jener Zeit komponiert wurde. Glücklicherweise kommt es am Ende des fünften Akts nicht zur grausigen Tat (auch wurde eine Nebenhandlung eingeführt). Bereits bei der

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Vivaldi / Argippo (1730)

Vivaldi / Argippo (1730)

Was wäre wohl geschehen, wenn bereits im 18. Jahrhundert VG Wort und GEMA als Hüterinnen des Urheberrechts mit ihren strengen Mitarbeitern im Parkett gesessen hätten? Nicht auszudenken! Nicht nur, dass ein einmal in die Welt gesetztes und für gelungen erachtetes Libretto vielfach wiederverwendet und in der Regel ungefragt verändert wurde. Auch bei der Zusammenstellung der musikalischen Nummern nahm man es bisweilen nicht so genau – oder eben doch, wenn ganz gezielt besonders erfolgreiche Arien aus Werken anderer Komponisten entnommen und neu eingepasst wurden. Diese Praxis des groß angelegten Pasticcios hatte

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Telemann / Miriways (1728)

Telemann / Miriways (1728)

Die Opern von Georg Philipp Telemann sind noch immer «terra incognita» (Pimpinone vielleicht ausgenommen). Wer aber hätte gedacht, dass der vielfach als «Polygraph» verunglimpfte Komponist während seines langen Lebens für Leipzig, Weißenfels und natürlich die Hamburger «Oper am Gänsemarkt» mehr als 50 Bühnenwerke geschrieben hat? Dass sich zwar vieles nachweisen lässt, sich aber nur weniges erhalten hat, liegt (wie so oft) an der Vergänglichkeit der Institutionen. Zu den erhaltenen Raritäten zählt auch Miriways: 1728 und nochmals 1730 gespielt, wurde der Dreiakter erst wieder 1992 und 2012 in Magdeburg aufgeführt; bei

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Vinci. Gismondo

Vinci / Gismondo (1727)

Max Emanuel Cenčić ist mit dieser Ausgrabung wieder einmal ein großer Coup gelungen: Die Komposition trifft den Kern des Geschehens und spult nicht bloß den Fundus an Topoi ab, die Interpretation zündet durch stimmliche Virtuosität und Gestaltungskraft. Dies gilt nicht allein für Cenčić selbst in der Titelrolle und den heller timbrierten und stimmlich klareren Yuriy Mynenko (Ottone), sondern mehr noch für die Sopranistinnen: Sophie Junker (Cunegonda) mit starkem Legato, Aleksandra Kubas-Kruk (Primislao) dramatisch präsent und Dilyara Idrisova (Giuditta) mit wundervoll beweglicher und warmer Stimme. Der eigentliche Star aber ist für mich das Orkiestra Historyczna unter der Leitung von Martyna Pastuszka. Mal zupackend forsch, mal verspielt lyrisch fließend, klanglich herausragend eingefangen. Dies gilt nicht weniger für Marcin Światkiewicz, der als «maestro al cembalo» mitlesend, denkend und ungekünstelt frei agiert. Ein großer Wurf!

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Franz Schubert: Sakontala (Kammerphilharmonie Bremen, Frieder Bernius)

Franz Schubert: Sakontala (Kammerphilharmonie Bremen, Frieder Bernius)

Franz Schubert ist trotz vielfacher Bemühungen als Bühnenkomponist noch immer ein nahezu unbeschriebenes Blatt. Sind schon seine abgeschlossenen oder auch nur seine vollständig erhaltenen Opern und Singspiele kaum dem Namen nach bekannt – etwa die überaus witzigen Freunde von Salamanka, der gewichtige Dreiakter Alfonso und Estrella oder gar der hochdramatische, einen Höhepunkt des Schaffens darstellende Fierabras. Aufgeführt wurde von diesen knapp einem Dutzend Partituren schon zu Schuberts Lebzeiten kaum etwas. Zu unglücklich erschien den Zeitgenossen die Wahl der Libretti, zu tief geriet Schubert in den Strudel zwischen deutscher romantischer Oper

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Carl Maria von Weber: Euryanthe (Constantin Trinks)

Carl Maria von Weber: Euryanthe (Trinks, ORF Radio-Symphonieorchester Wien)

Der vom „Freischütz“ geworfene Schatten ist lang – und er reicht bis heute. Umso erfreulicher ist das Engagement des Theaters an der Wien für Carl Maria von Webers „weitere“ Partituren. Dennoch überrascht das hörbar unterschiedliche Niveau der beiden bisher auf CD vorliegenden Live-Mitschnitte: Auf der einen Seite ein unglücklich besetzter, musikalisch seltsam behäbiger „Peter Schmoll“, wie man ihn wohl auch in den 1970er Jahren hätte hören können; sein originaler Spielwitz ist somit noch immer zu entdecken. Auf der anderen Seite nun eine „Euryanthe“, bei der man kaum glaubt, dasselbe Orchester

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Hans Werner Henze: Der Prinz von Homburg

Hans Werner Henze: Der Prinz von Homburg

Nur selten inszeniert und kaum eingespielt gilt Hans Werner Henzes Der Prinz von Homburg aus dem Jahre 1960 vielen noch immer als Geheimtipp. Denn das Werk ist ein wenig unbequem. Erst passte Heinrich von Kleists Drama nicht in das Weltbild des strengen «Preußentums», dann wurde es im Dritten Reich vereinnahmt, um später nur zögerlich wieder auf die Bühnen zu kommen. Der Anti-Held, der nach einem Urteil des Kriegsgerichts seinen kurz bevorstehenden Tod fürchten muss, mag sicherlich nicht gleich als Ideal gesehen worden sein – zumal die Brandenburger nach erfolgter Begnadigung

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Detlev Glanert: Oceane

Detlev Glanert: Oceane

Selten nur wurde eine Opern-Uraufführung in den letzten Jahren so einhellig umjubelt. Auch die (Wieder-)Begegnung mit der Berliner Uraufführung von Detlev Glanerts Oceane (2016–2018) macht rasch klar, was an diesem Werk so begeistert hat, denn es handelt sich um ein emotional berührendes Seelendrama, gewaltig mitreißend und leise nachhörend. Zudem erscheint der von Theodor Fontane adaptierte Plot nicht unnötig transzendiert, sondern erfahrbar gemacht – und zeigt damit den weithin unterschätzten norddeutschen Poeten nicht als Biedermann des ausgehenden 19. Jahrhunderts, sondern als radikalen Vordenker. Oceane von Parceval, die dem Meer entsprang und

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Malcolm Arnold: The Dancing Master

Malcolm Arnold: The Dancing Master

«too bawdy for family audiences» – zu schlüpfrig für Familienpublikum. Diese knappen Worte reichten aus, dass sich im Jahre 1952 die BBC von dieser ursprünglich für das Fernsehen bestimmten Oper zurückzog. Heute kann man sich über dieses Urteil angesichts des spritzig-witzigen, mitunter auch doppeldeutigen Librettos von The Dancing Master nur wundern – oder mit Blick auf das enge Sittenkorsett jener Zeit eben auch nicht. Allerdings: glückliche Zeit, als vor 70 Jahren überhaupt noch längere musikalische Werke für den gar nicht so weit verbreiteten Flimmerkasten in Auftrag gegeben wurden! Mit dem

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Luigi Dallapiccola: Il Prigioniero

Luigi Dallapiccola: Il Prigioniero

Nach zwei Folgen mit Orchesterwerken und einer Pause von einem Jahrzehnt überrascht das britische Label Chandos mit einer Oper von Luigi Dallapiccola (1904–1975). Wirkliches Neuland wird dabei freilich nicht betreten. Denn von dem Einakter Il Prigioniero (1944–1948) liegen schon wenigstens vier andere Produktionen aus den Jahren 1967 (Ettore Gracis), 1974 (Antal Doráti), 1995 (Esa-Pekka Salonen) und 2016 (Dirk Kaftan) vor. Warum also diese Einspielung einer Partitur, die nach der Uraufführung oft gespielt wurde, heute aber auf der Bühne eher zur Rarität geworden ist? Oder darf man nun auch Neuaufnahmen von

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Péter Eötvös: Senza Sangue

Péter Eötvös: Senza Sangue

Die Frage, welchen Einakter man an einem Opernabend Béla Bartóks Herzog Blaubarts Burg zur Seite stellen könnte, hat eine schlüssige Antwort mehr erhalten. Bei dem gesuchten Gegenstück handelt es sich um Péter Eötvös’ im Jahre 2015 uraufgeführtes Drama Senza Sangue (Ohne Blut) – in der unrevidierten Version mit identischer Bártok-Besetzung (jedoch ohne Orgel), mit sieben Szenen und einer wiederkehrenden motivischen Zweiton-Reverenz. Im Gegensatz zum Blaubart zeigt sich allerdings ein wenig Licht am Ende des Tunnels – die Möglichkeit jedenfalls dafür. Zudem ist bei Eötvös die «Sage nicht alt», sondern spielt

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