5. Oktober 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Montéclair / Jephté (1737)

Montéclair / Jephté (1737)
Montéclair / Jephté (1737)

Carissimi und Händel setzten das alttestamentarische Drama um Jephta und die Opferung seiner Tochter in großen Oratorien um, in Paris hingegen erkannte man schon zu Beginn des18. Jahrhunderts das große Bühnenpotenzial des Plots. Und so schuf zunächst Simon-Joseph Pellegrin ein Libretto gegen alle ungeschriebenen Gattungstraditionen, später dann Michel Pignolet de Montéclair (1667–1737) eine Partitur, die zu dem Besten und Zukunftsweisendsten zählt, was an der Seine zu jener Zeit komponiert wurde. Glücklicherweise kommt es am Ende des fünften Akts nicht zur grausigen Tat (auch wurde eine Nebenhandlung eingeführt). Bereits bei der Uraufführung im März 1733 überaus erfolgreich, wurde die Oper in den folgenden Jahren insgesamt sieben Mal wiederaufgenommen (nach 1744 sogar nochmals 1761), wobei Montéclair beständig Veränderungen an der Partitur vornahm. Sie sind durch gleich drei Druckausgaben gut belegt; die letzte von 1737, die auch dieser Einspielung zugrunde liegt, wurde von Komponist und Verlag in einem Vorwort als nicht mehr veränderliche gültige Fassung letzter Hand bezeichnet.

Montéclairs prächtige Jephté machte schon früh so großen Eindruck, dass Rameau mit einem bei Voltaire in Auftrag gegebenen Libretto zu einem Samson gleichziehen wolle; der Text wurde indes von der Zensur wegen angeblich blasphemischer Züge kassiert. Voltaire, dessen Eryphile durchfiel, bezeichnete daraufhin Montéclairs Partitur eifersüchtig als «zum Gähnen langweilig», und Rameau bezog in seinen theoretischen Schriften gleich grundsätzlich Stellung gegen den Komponisten. Wie bedeutend Jephté als Oper aber war und ist, macht die bei Glossa erschienene, in Budapest produzierte, stilistisch wie musikalisch hochkarätige Aufnahme deutlich. Das Hauptverdienst liegt dabei auf dem Orfeo Orchestra (nicht zu verwechseln mit dem L’Orfeo Barockorchester), das unter der Leitung von György Vashegyi anhaltend frisch und farbenprächtig aufspielt. Darüber hinaus überzeugt das mit besten Kräften und noch dazu ausgewogen besetzte Solist:innen-Ensemble – mit Tassis Christoyannis (Jephté), Chantal Santon Jeffery (Iphise), Judith van Wanroij und Zachary Wilder. So lebendig präsentiert wird die französische Tragédie fraglos viele neue Freunde finden.


Michel Pignolet de Montéclair: Jephté (1737)
Tassis Christoyannis (Bariton), Chantal Santon Jeffery (Sopran), Judith van Wanroij (Sopran), Thomas Dolié (Bariton), Zachary Wilder (Tenor), Katia Velletaz (Sopran), Adriána Kalafszky (Sopran), Clément Debieuvre (Tenor), David Witczak (Bariton), Purcell Choir, Orfeo Orchestra, György Vashegyi

Glossa GCD 924008 (2019)

 

 

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 4 von 5 in Michael Kubes HörBar #042 – Barockopern