19. April 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Vivaldi / Argippo (1730)

Vivaldi / Argippo (1730)
Vivaldi / Argippo (1730)

Was wäre wohl geschehen, wenn bereits im 18. Jahrhundert VG Wort und GEMA als Hüterinnen des Urheberrechts mit ihren strengen Mitarbeitern im Parkett gesessen hätten? Nicht auszudenken! Nicht nur, dass ein einmal in die Welt gesetztes und für gelungen erachtetes Libretto vielfach wiederverwendet und in der Regel ungefragt verändert wurde. Auch bei der Zusammenstellung der musikalischen Nummern nahm man es bisweilen nicht so genau – oder eben doch, wenn ganz gezielt besonders erfolgreiche Arien aus Werken anderer Komponisten entnommen und neu eingepasst wurden. Diese Praxis des groß angelegten Pasticcios hatte Hochkonjunktur und versprach dem Kompilator wie auch den Aufführenden glänzenden Applaus, dem Publikum aber mit Sicherheit beste Unterhaltung (auch wenn es sich nicht durchwegs um Chart-Titel handelte). Auch Antonio Vivaldi war an solch’ leckeren – äh: wohlklingenden Pasteten in unterschiedlichen Funktionen beteiligt.

Bei Argippo handelt es sich um eine 1730 in Wien und Prag aufgeführte Oper, von der sich allerdings nur Textdrucke sowie einzelne Arien erhalten haben – und eine Abschrift, die Vivaldis Komposition (nun freilich auszugsweise) mit einem guten Dutzend Nummern anderer Meister kombiniert (Galeazzi, Pescetti, Hasse, Porpora, Fiorè, Vinci). Wie es dazu kam, ob Vivaldi selbst Hand anlegte oder seine Partitur von andern «gepimpt» wurde, bleibt im Dunkeln.

Wie bei Telemanns Miriways spielt auch bei Argippo die Handlung im fernen Osten, diesmal beim Großmogul in Indien, und wiederum ohne ethnomusikalische Konsequenzen. Die Produktion (Vol. 64 der großartigen Vivaldi Edition bei naïve) zündet indes ein fulminantes barockes Feuerwerk, das die Frage nach den Autoren und der Überlieferung in den Hintergrund rückt. (Puristen können diesbezüglich beruhigt werden, denn in dieser Werkgestalt handelt es sich, nur eben in einem anderen Sinn, um historische Aufführungspraxis).

Mitreißend furios oder auch lyrisch fließend vom Ensemble Europa Galante unter Fabio Biondi begleitet, können sich die hochkarätigen Solist:innen bestens in Szene setzen – so wie gleich zu Beginn Delphine Galou (Zanaida), die ihr erste, im Ausdruck stark kontrastierende Arie mit fantastisch klarer Brillanz abräumt. Dunkler im Timbre bildet dazu Marianna Pizzolato (Silvero) eine starke Ergänzung. Geradezu jugendlich wirkt der helle und bewegliche Sopran von Marie Lys (Osira), während Emöke Baráth (Argippo) die Titelrolle klug gestaltet und mit ihrer geerdeten Stimme ausfüllt. Luigi De Donato (Tisifaro) hat es als einziger männlicher Protagonist leider schwer, sich mit seinem fein zeichnenden Bass in diesem Feld zu behaupten. – Ein Highlight, das keine Langeweile aufkommen lässt.


Antonio Vivaldi: Argippo (1730) (RV Anh. 137)
Emöke Baráth (Sopran), Marie Lys (Sopran), Delphine Galou (Alt), Marianna Pizzolato (Alt), Luigi De Donato (Bass), Europa Galante, Fabio Biond

naïve OP 7079 (2019)

 

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