27. Juli 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch
Ulrich Drechsler: Caramel [2020]

Ulrich Drechsler: Caramel [2020]

«„Caramel“ combines the freedom of improvisation with the structural clarity and discipline of classical music, the intensity and emotion of oriental music with the understanding of minimalism and space of Scandinavian music and much, much more.» Das ist alles zusammen nicht gerade ganz wenig. So hört man es diesem hochambitionierten Projekt auch an. Es eignet ihm ein geradezu symphonischer Charakter, klingt bisweilen wie eine Mischung aus Hörspiel und Filmmusik; oben drauf eine Schippe Tiefschürfung. Aus der Gestaltung der CD mit seinem Booklet geht nicht hervor, was dem Klarinettisten, Komponisten und

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Marcel & The Bathing Birds: Tweet [2020]

Marcel & The Bathing Birds: Tweet [2020]

Krudes Zeugs. Eine schöne Besetzung, so mit zwei Blasenden und ohne Klavier. Das macht die Faktur dieses Quartetts durchlässig für viel musikalisches Geschnipsel. Wären das nicht die zusammengefalteten Chorusse für die man sich versammelt, wäre es eine gemütliche Sause ohne Wolkigkeit. Es wird viel gezwitschert mit mehr als 280 Tönen, vielmehr mit abstrakten Linien wie beim Mikado sensibel, zerbrechlich und zugleich bestimmt die Musik zusammengebaut. Dabei sind jedoch immer kleine Sammlungsphasen, in die man sich bequem zurückfallen lassen könnte, wie beim Track 8 „Gasthaus der verbrannten Diktatoren“. Wenn da nicht

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Michael Leonhart Orchestra: Suite Extracts Vol. 1 [2019]

Michael Leonhart Orchestra: Suite Extracts Vol. 1 [2019]

Suppe. Es suppt. Musikalisches Gemüse, mal köchelt es, dann kocht es, mal schnurgelt es, dann zieht es durch an den vielen Gewürz-Zutaten. Das Michael Leonhart Orchestra vereint unter sich viele bekannte Musiker*innen. Statt Orchestra wäre wohl die Bezeichnung eines Big Ensembles passender. Denn immer wieder schälen sich kleinere Ensembles zu eigenen musikalische Entitäten zusammen. Eine Jazziversum mit soliden charakteristischen Planeten in den Umlaufbahnen. Und ja. Eine Suppe kann auch so ein Universum sein. Ornette Colemans „Lonely Woman“ wird da eingebettet in „Big Bottom“ – das ist schon schräg, aber es

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The NuH[u]ssel Orchestra: The Forest [2019]

The NuH[u]ssel Orchestra: The Forest [2019]

Die Platte knallt. Dabei startet sie ganz harmlos im Streichquartett-Ton und tut so, als sei sie ein neues Werk von Arvo Pärt. Nennt sich „Ouverture“ – nur was tured sie over? Track zwei fährt da umgebremst hinein und spannt ein mexikanisch(?)-gefunktes Perkussionssegel auf in das die Bläsersätze immer wieder hineinbrettern. Das wirkt fast unglaubwürdig, so prall wie knall. Aber so geht es dann gleich weiter mit wunderbaren Arrangements, die trotz Satzleere völlig süffig bleiben. Eine Hammond-Orgel, scharfe Gitarrenriffs. Klangurwälder! Die Spannung lässt dabei nie nach, weil auch harmonisch alles eingetaktet

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The Composer’s Orchestra Berlin plays the music of Dirk Strakhof (2020)

The Composer’s Orchestra Berlin plays the music of Dirk Strakhof (2020)

So ein großes Orchester in Form einer Big Band kann ein störischer Gegenstand sein. In Komposition und praktischer Erprobung durch Realisation gleichermaßen. Das kann schnell klappern und kippen, es können dabei die Dinge auseinanderfliegen oder aber sich durch Funkenschlag in etwas Neues verwandeln. Beim Composer’s Orchestra Berlin unter der Leitung von Hazel Leach ist es anders. Die Arrangements der Kompositionen bleiben die ganze Zeit hindurch geschmeidig. Aber eben auch ohne dieses überschießende Maß an Verrücktheit, das einen als Hörenden auch mal nicht nur aufs Gleis, sondern neben die Spur setzt.

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Max Nagl Trio: Moped [2020]

Max Nagl Trio: Moped [2020]

Krachblitz – Raballaditrummrumm. KREISCH! Was für Hymnen an musikalische Exzessologien. Da bleibt kein Auge trocken, kein Ohr naß und einem die Spucke weg. Hübsche kleine Stückchen, Spückchen. Da nimmt die Musik eine Fahrt auf, dass Zwei-, Drei- und Viertakter kollabieren und die Bremsseile zum reißen. Ungebremst und durchgebrannt. Viel Spaß dabei, laut hören. Jazzpogotanzen im Sitzbad und zwischendrinne sich in eine Ecke zurückziehen. Das Trio rennt sich wild und wund. Schön, knallschlabbrig, pathetischplumperquadratisch im Platsch-i-versum. Darf man alles eigentlich nur in Anführungszeichen sagen, wäre sonst zu ernst. Nein wirklich, so

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Hendrika Entzian: Marble [2020]

Hendrika Entzian: Marble [2020]

Alles gut, soweit. Die Big Band schreitet durch Berge und Täler von Arrangements. Alles sitzt, alles gut soweit die Ohren hören. Die Mischung von Soloparts im Klangbett der großen Band ist zweifellos allseits und immer tadellos. Ja. Und dabei beginnt das zunächst kleine, dann große Warten. Ist das alles? Kommt da noch was drauf oder drunter? Hinter? Vor? Bevor man sich gerade an einer Stelle beginnt, zu wundern, ist alles wieder tadellos, einwandfrei. Man steht auf einer Autobahnbrücke und unter einem rauschen die Fahrzeuge geheimnisvoll wie auf unsichtbaren Schienen durch.

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Dan Weiss Trio Plus 1: Utica Box [2019]

Dan Weiss Trio Plus 1: Utica Box [2019]

Das Trio/Quartett um den Schlagzeuger Dan Weiss macht eine Musik, die geradezu bodenlos zu sein scheint. Utica Box besteht aus drei deutlichen langen Tracks mit 17, 11 und 16 Minuten. Dazwischen sind drei deutlich mittellange Stücke gesetzt von um die sechs Minuten und ein kurzes von deutlich knapp zwei Minuten. Da kann deutlich viel passieren. Und das tut es auch deutlich dann, wenn man das Gefühl hat, dass wenig passiert, aber nicht wenig genug, dass man sich in eine manisch-repetitive Ecke des Hörens zurückziehen kann und „etwas“ passieren, und das

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Windisch Quartett: Chaos (2020)

Windisch Quartett: Chaos (2020)

„Chaos, Pain, Wohin, Zulassen, Easter, Leere, Freude am Zahnrad, Gräit, Wassolldas.“ Die Titel der Tracks und damit unverkennbar Jazz aus den letzten Jahren aus Deutschland. Track-Titel, die reizen, daraus in einem höheren Sinn Lyrik zu machen. Oder Musik. In einem höheren Sinn Lyrik sind die Stücke selbst dann auch. Chaos selbst ist derartig unchaotisch, dass es einem um die Ohren fliegt. Dafür reichen heute Mittel wie bestnotierte Homophonie und krummen Zählzeiten. Pain – Schmerz oder Brot? Irrlichtert. Wohin probiert die Kunst repetitiver Permutation in Dauern und Tonhöhen – bevor es

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Ein Plattencover

Keith Jarrett: Munich 2016

Seit Anfang November 2019 kann ein relativ aktuelles Soloalbum von Keith Jarrett seinen Platz im Regal der Sammlerinnen und Sammler finden. Der Rezensent zweifelt, ob das auch musikalisch gerechtfertigt ist. Dieser Typus des Solokonzerts von Keith Jarrett ist im Ablauf zu ähnlich zu denjenigen aus Rio, Venedig oder New York (oder eben anderen Solo-Einspielungen und Kopplungen seit 2000). Es gibt da die Free-Stücke (I, II …), es gibt den etwas funkigen Teil (Part IV), einen Blues (Part IX), die lyrischen Stücke (Parts III, V, VIII, XI), schließlich die wie immer

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Michael Formanek – Elusion Quartet: Time like This (2018)

Sich durchkreuzende Spiele, die gleichwohl eine atmosphärische Seligkeit verheißen. So geht es los. Es folgen expressivere Passagen wie im Duo aus Bass und Schlagzeug auf Track zwei. Langsam ergänzt sich Musik zum Quartett. Ein Zauberwerk aus zunächst folgen frei fließenden Einzelbewegungen, die sich dann wie von selbst verbinden – und wieder auseinanderströmen. Melodisch und rhythmisch außerordentlich komplex und doch zugleich nicht verwirrend. Bezaubernd luftig und intensiv dicht. Faszinierend wie sich das auch von CD mitteilt. Michael Formanek: Time like This Intakt Records Michael Formanek: Double Bass Tony Malaby: Tenor and

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