5. Mai 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch
Martin Vatter: Homeland (2018)

Martin Vatter: Homeland (2018)

Vorweg: Klangtechnisch ist diese Aufnahmesession des Pianisten Martin Vatter bis ins Verklingen der Pianos bis in den letzten Nachhall superb abgemischt und aufgenommen. Selbst wer die ästhetische Haltung hinter den Stücken nicht mag, darf sich anhören, was Tontechnik vermag. Aufgenommen im „legendären“ MPS-Studio Villingen. Musikalisch bietet Martin Vatter total solide Klangkunst in postromantischer Jazzlage. Das ist süffig, das fließt ohne anzuecken, was ja auch an sich kein ästhetisches Kriterium wäre. Die musikalischen Überraschungen innerhalb der Tracks sind eher filigraner Art. Man muss da sich selbst eben zwischen den Wohllaut schieben

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Nicole Johänntgen: Henry III [2021]

Nicole Johänntgen: Henry III [2021]

Live und analog mal schnell auf zwei Spuren mitgeschnitten kommt dieses Gute-Laune-Quartett sofort in die Spur. Es dampft ordentlich groovy stampfend durch die Nacht. Eine wunderbare Besetzung mit den drei Bläsern zu dem kleinen Schlagzeug. Es saftelt sich da leicht über den Dancefloor oder durch den musikalischen Kriechkeller. Die Anklänge an Ursprungstöne des Jazz sind unüberhörbar. Gleichwohl ist dies Musik des 21. Jahrhunderts. Denn die Musiker*innen haben natürlich die Musikgeschichte des Jazz mit allem, was ist, in sich aufgesaugt und geben diese in höchst überrumpelndem Purismus mitzuckungsansteckend wieder zurück. Hörspaß

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Bobby Previte, Jamie Saft, Nels Cline: Music from the Early 21st Century [2020]

Bobby Previte, Jamie Saft, Nels Cline: Music from the Early 21st Century [2020]

Kraut und Rüben. Was für ein musikalischer Unsinn! Also im besten aller Sinne, dem der Sinns von Unsinn. Wer hat denen das erlaubt. Man stelle sich vor, man kreuze einen Flipper mit dem Computerspiel Pong. Es erscheint ein musikalischer Hybrid. Bitte das letzte Stück zuerst hören. Mini Moog in seiner besten Form, dazu Krachgitarre über einem gar bärtigen Rock-Beat. Macht man das jetzt so, ist das ein Rückblick auf das früher 21. Jahrhundert. Von welcher Perspektive bitte aus? Von der radikal individualisierten Seite, der nichts heilig ist und die sich

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Ron Davis: The Instrumental Music Liberation Front [2020]

Ron Davis: The Instrumental Music Liberation Front [2020]

Oh, das geht schief. Auf welchem Niveau aber nur. Leider war mein erster Gedanke, da geht es um allgemeine Befreiung. So wie bei Charlie Hadens „Liberation Music Orchestra“. Also schon mal Herbert Marcuse rausgeholt und ein paar Latschen übergestreift. Aber genau Lesen macht bekanntlich schlau. Es geht nämlich um nicht Geringeres als die Befreiung der Instrumentalmusik aus den Fängen und Vorherrschaft der Vokalmusik. «Ron believes that instrumental music has recently disappeared amongst an ocean of vocals and words. This transgression is one that Ron wants to overturn with his 13th

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Ulrich Drechsler: Caramel [2020]

Ulrich Drechsler: Caramel [2020]

«„Caramel“ combines the freedom of improvisation with the structural clarity and discipline of classical music, the intensity and emotion of oriental music with the understanding of minimalism and space of Scandinavian music and much, much more.» Das ist alles zusammen nicht gerade ganz wenig. So hört man es diesem hochambitionierten Projekt auch an. Es eignet ihm ein geradezu symphonischer Charakter, klingt bisweilen wie eine Mischung aus Hörspiel und Filmmusik; oben drauf eine Schippe Tiefschürfung. Aus der Gestaltung der CD mit seinem Booklet geht nicht hervor, was dem Klarinettisten, Komponisten und

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Marcel & The Bathing Birds: Tweet [2020]

Marcel & The Bathing Birds: Tweet [2020]

Krudes Zeugs. Eine schöne Besetzung, so mit zwei Blasenden und ohne Klavier. Das macht die Faktur dieses Quartetts durchlässig für viel musikalisches Geschnipsel. Wären das nicht die zusammengefalteten Chorusse für die man sich versammelt, wäre es eine gemütliche Sause ohne Wolkigkeit. Es wird viel gezwitschert mit mehr als 280 Tönen, vielmehr mit abstrakten Linien wie beim Mikado sensibel, zerbrechlich und zugleich bestimmt die Musik zusammengebaut. Dabei sind jedoch immer kleine Sammlungsphasen, in die man sich bequem zurückfallen lassen könnte, wie beim Track 8 „Gasthaus der verbrannten Diktatoren“. Wenn da nicht

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Michael Leonhart Orchestra: Suite Extracts Vol. 1 [2019]

Michael Leonhart Orchestra: Suite Extracts Vol. 1 [2019]

Suppe. Es suppt. Musikalisches Gemüse, mal köchelt es, dann kocht es, mal schnurgelt es, dann zieht es durch an den vielen Gewürz-Zutaten. Das Michael Leonhart Orchestra vereint unter sich viele bekannte Musiker*innen. Statt Orchestra wäre wohl die Bezeichnung eines Big Ensembles passender. Denn immer wieder schälen sich kleinere Ensembles zu eigenen musikalische Entitäten zusammen. Eine Jazziversum mit soliden charakteristischen Planeten in den Umlaufbahnen. Und ja. Eine Suppe kann auch so ein Universum sein. Ornette Colemans „Lonely Woman“ wird da eingebettet in „Big Bottom“ – das ist schon schräg, aber es

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The NuH[u]ssel Orchestra: The Forest [2019]

The NuH[u]ssel Orchestra: The Forest [2019]

Die Platte knallt. Dabei startet sie ganz harmlos im Streichquartett-Ton und tut so, als sei sie ein neues Werk von Arvo Pärt. Nennt sich „Ouverture“ – nur was tured sie over? Track zwei fährt da umgebremst hinein und spannt ein mexikanisch(?)-gefunktes Perkussionssegel auf in das die Bläsersätze immer wieder hineinbrettern. Das wirkt fast unglaubwürdig, so prall wie knall. Aber so geht es dann gleich weiter mit wunderbaren Arrangements, die trotz Satzleere völlig süffig bleiben. Eine Hammond-Orgel, scharfe Gitarrenriffs. Klangurwälder! Die Spannung lässt dabei nie nach, weil auch harmonisch alles eingetaktet

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The Composer’s Orchestra Berlin plays the music of Dirk Strakhof (2020)

The Composer’s Orchestra Berlin plays the music of Dirk Strakhof (2020)

So ein großes Orchester in Form einer Big Band kann ein störischer Gegenstand sein. In Komposition und praktischer Erprobung durch Realisation gleichermaßen. Das kann schnell klappern und kippen, es können dabei die Dinge auseinanderfliegen oder aber sich durch Funkenschlag in etwas Neues verwandeln. Beim Composer’s Orchestra Berlin unter der Leitung von Hazel Leach ist es anders. Die Arrangements der Kompositionen bleiben die ganze Zeit hindurch geschmeidig. Aber eben auch ohne dieses überschießende Maß an Verrücktheit, das einen als Hörenden auch mal nicht nur aufs Gleis, sondern neben die Spur setzt.

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Max Nagl Trio: Moped [2020]

Max Nagl Trio: Moped [2020]

Krachblitz – Raballaditrummrumm. KREISCH! Was für Hymnen an musikalische Exzessologien. Da bleibt kein Auge trocken, kein Ohr naß und einem die Spucke weg. Hübsche kleine Stückchen, Spückchen. Da nimmt die Musik eine Fahrt auf, dass Zwei-, Drei- und Viertakter kollabieren und die Bremsseile zum reißen. Ungebremst und durchgebrannt. Viel Spaß dabei, laut hören. Jazzpogotanzen im Sitzbad und zwischendrinne sich in eine Ecke zurückziehen. Das Trio rennt sich wild und wund. Schön, knallschlabbrig, pathetischplumperquadratisch im Platsch-i-versum. Darf man alles eigentlich nur in Anführungszeichen sagen, wäre sonst zu ernst. Nein wirklich, so

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Hendrika Entzian: Marble [2020]

Hendrika Entzian: Marble [2020]

Alles gut, soweit. Die Big Band schreitet durch Berge und Täler von Arrangements. Alles sitzt, alles gut soweit die Ohren hören. Die Mischung von Soloparts im Klangbett der großen Band ist zweifellos allseits und immer tadellos. Ja. Und dabei beginnt das zunächst kleine, dann große Warten. Ist das alles? Kommt da noch was drauf oder drunter? Hinter? Vor? Bevor man sich gerade an einer Stelle beginnt, zu wundern, ist alles wieder tadellos, einwandfrei. Man steht auf einer Autobahnbrücke und unter einem rauschen die Fahrzeuge geheimnisvoll wie auf unsichtbaren Schienen durch.

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Dan Weiss Trio Plus 1: Utica Box [2019]

Dan Weiss Trio Plus 1: Utica Box [2019]

Das Trio/Quartett um den Schlagzeuger Dan Weiss macht eine Musik, die geradezu bodenlos zu sein scheint. Utica Box besteht aus drei deutlichen langen Tracks mit 17, 11 und 16 Minuten. Dazwischen sind drei deutlich mittellange Stücke gesetzt von um die sechs Minuten und ein kurzes von deutlich knapp zwei Minuten. Da kann deutlich viel passieren. Und das tut es auch deutlich dann, wenn man das Gefühl hat, dass wenig passiert, aber nicht wenig genug, dass man sich in eine manisch-repetitive Ecke des Hörens zurückziehen kann und „etwas“ passieren, und das

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