29. April 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch
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Clemens Christian Poetzsch: Remember Tomorrow [2019]

Ja, was denn nun? In seiner Reihe „Neue Meister“ erschien bei Edel dieses 13teilige Werk von Clemens Christian Poetzsch. Klavier solo mit Nachbearbeitung, vom Prinzip her wie bei Francesco Tristano (kürzlich besprochen). Und der Zufall will es gar, dass es hier einen Track gibt, der auf Tokio sich bezieht (Tokio Nights). Das steht dann im Kontrast zu „Neon Leipzig“. Wortwahlproblem: Kontraste im herkömmlichen Sinn sind dieser Musik fern. Das Grundtempo ist: „Langsam“ und damit ist man ganz der Entschleunigungsmode verpflichtet. Was noch resttänzerisch erscheint, wirkt wie hinter einem Schleier aus

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Ein CD-Cover von Musik Tristanos

Francesco Tristano: Tokyo Stories [2019]

Ein Besuch in Tokyo inspirierte wohl zu diesem Solo-Album mit Gästen wie Michel Portal oder Hiroshi Watanabe. Auf 16 Tracks düstert es in Moll und Moller. Dabei kommt die Musik nicht einmal aus dem sonst gerne in dunklen Graufarben wabernden norwegischen oder im weiteren Sinne skandinavischen Ensembles. Tristanos Musik changiert zwischen Klaviertradition und typischer Jazz-Idiomatik. Das klingt einfach sehr … einfach im besten Sinn. Dabei ist es aber eben mehr als man es vielleicht vermuten würde, wenn man Tristano auch der Neoklassik-Szene zuordnen würde. Frage: Gibt es da so etwas

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You Don't Know the Life: Jamie Saft, Steve Swallow, Bobby Previte [2019]

Jamie Saft: You Don’t Know the Life [2019]

Lässig-chaotisch kommt das Trio um Jamie Saft auf die Platte. Selten wirken konstruktiv-kompositorische Einfälle im Jazz so einleuchtend, auch wenn sie alles andere als „geradlinig angelegt sind. Die bisweilen gewagt irrealen Arrangements des Trios kommen hintenrum ums Gehirn und finden ihre analytischen Empfindungspunkte. Sagt man so? Man könnte auch einfach sagen: Das kommt voll elastisch rüber. Was kantig wirkt, ist weich, die Ecken sind rund – und umgekehrt! Ist natürlich dem gummiartigen Tonfall der Hammond Orgel zu danken, die bei Saft aber weniger als Instrument mit musikgeschichtlichem Ballast angetönt wird

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CD Coverbild

Phraim: Phraim [2019]

Kammermusikalisch intimes Musizieren mit leicht herben Nebentönen auf einem Bett geschickt balancierter Arrangements. Mit einer Sängerin dabei, die ziemlich elegant herüberklingt ohne Künstlichkeit. Naja, aber eben alles doch artifiziell, nicht zuletzt auch durch die Tatsache, Aussparungen zu machen, die Einzelstimmen auch im akustischen Raum präzise zu platzieren (Track: Decent). Sehr gut produziert. Virtuos auch der Umgang miteinander im Unisono (Track: Sexual Redemption). Nina Reiter modelliert ihre Stimme in feiner Gesangsarbeit, die immer auf den Punkt kommt, wie im Duo mit Domenic Landolf an der Bassklarinette (Track: I Am Plant). Bunt,

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Chris Gall: Room Of Silence (Piano Solo)

Chris Gall: Room Of Silence (Piano Solo)

Düsterdiebüster. Ein Raum der Stille ist aber auch wirklich schnell gefüllt. Dazu reicht auch ein ein mezzopiano-gespieltes Piano in der Ecke eines Aufnahmestudios. Silence ist aber nicht nur ein physikalische Begriff von Stille, sondern auch ein psychologischer – danach kann die Verdrängung des gewöhnlichen Tongemisches ausreichen. Freilich funktioniert es weniger, wenn das eine nur das andere ersetzt. Beim Spiel von Chris Gall schwankt man da hörend. Zwischen dem Läppischen, dem zarten Klanghauch, dem molligen Wohlton und dem bedeutungsvollen Piepsen (im übertragenen Sinn). Schön wirds, wo Gall mit einer grazilen Simplizität

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Rainer Böhm: Hýdōr (Piano Works XII)

Rainer Böhm: Hýdōr (Piano Works XII)

Karges Klavierspiel bedeutet nicht Unterkomplexität oder Einfallslosigkeit. Ganz sicher bei Rainer Böhm sowieso nicht. Unter Hýdōr sind 13 maximal 6-Minüter. Gleich die beiden Studies zu Beginn, tun wohl, sind in ihrer Struktur sofort aufschließbar, so dass man sich auf der Stelle mit der improvisatorischen Arbeit auseinandersetzen kann. Toll gemacht. Das gilt über den Rest der Platte ebenso, wenngleich die Kompliziertheit der Ideenentwicklung verschiedene Niveaus erreicht. Wo alles so offengelegt wird, spürt man dann genau so Abstufungen bei weniger tragenden Ideen wie in „Badi Bada“. So gewinnt man aber auf der

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Keith Jarrett: La Fenice

Keith Jarrett: La Fenice [2006]

Man weiß nicht so genau, was noch in den Archiven von ECM schlummern mag, aber da scheint es ja in Sachen Jarrett kaum ein Ende zu geben. Nun also eine Aufnahme aus dem „Gran Teatro La Fenice“ in Venedig. Man schreibt das Jahr 2006. Und Keith Jarrett schreibt eine weitere Improvisation. Von den langen improvisatorischen Gleisen der 70er bis 90er Jahre hat er sich längst entfernt. Sein Soloabend ist dokumentiert auf zwei CDs und besteht aus acht „Parts“ und vier Standards; insgesamt 97 Minuten. Wie schon in anderen Solo-Aufnahmen nach

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John Coltrane: Both Directions At Once: The Lost Album

John Coltrane: Both Directions At Once – The Lost Album

Von einem anderen Kontrast kündet der Titel „Both Directions At Once: The Lost Album”, das 1963 sorgfältig produziert, dann vergessen wurde und sich nur durch den Zufall erhalten hat, da sich eine Mono-Kopie in Familienbesitz befand. Gemeint ist der Versuch von Coltranes Plattenfirma Impulse! zweigleisig zu fahren, einerseits wagemutige, in die Zukunft weisende Coltrane-Werke zu veröffentlichen, andererseits Alben die ein breiteres Publikum ansprechen konnten wie „Ballads“ oder das Album mit dem Sänger Johnny Hartman, das zufällig am nächsten Tag produziert wurde. In dieser Trouvaille erleben wir beides: Songs wie „Nature

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Miles Davis: Ascenseur pour l’échafaud

Miles Davis: Ascenseur pour l’échafaud

Wie Jeanne Moreau durch das nächtliche Paris irrt, den Geliebten sucht, der für sie zum Mörder wurde, wie sie hofft und bangt, Selbstgespräche führt, das hat sich ins kollektive Unbewusste eingegraben, das machte sie zum Star – doch vermutlich hätte man diese Szenen des Films „Fahrstuhl zum Schafott“ längst vergessen, hätte nicht Miles Davis dazu Musik geschaffen, die an die Nieren geht, auch wenn man die Bilder nicht sieht. Louis Malle, der Regisseur von „Ascenseur pour l’échafaud“ erinnert sich: „Was er machte, war einfach verblüffend. Er verwandelte den Film. Ich

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Miles Davis & John Coltrane: Bootleg Series 6: The Final Tour

Miles Davis & John Coltrane: Bootleg Series 6: The Final Tour

Als Miles Davis 1960 nach Europa kam, hatte er endlich seine eigenen Musiker dabei – ein Zeichen, dass er nunmehr ein internationaler Star war. Doch eher missmutig absolvierte John Coltrane 1960 diese Tournee mit dem Trompeter und mürrisch klingt er bisweilen auch auf seinen letzten Auftritten als Sideman; danach trennten sich ihre Wege (sieht man von einem Studioalbum des Jahres 1961 ab). Ob er wütend ist, fragt ihn ein schwedischer Deejay in einem Interview, das sich als Zugabe auf „The Final Tour“, Vol. 6 der „Bootleg Series”, findet, das die

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