26. November 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Mozart & Paisiello / Julien Chauvin

Mozart & Paisiello / Julien Chauvin
Mozart & Paisiello / Julien Chauvin
Wer sich beim Anhören dieses Albums etwas verwundert am Ohrläppchen zupft, hat vermutlich keine Notiz vom Kleingedruckten auf dem Cover oder anderen in Klammer gesetzten Angaben genommen. «Paris 1804» steht da – Ort und Jahr verweisen nicht nur auf die erste Aufführung von Mozarts Requiem in Frankreich am 21. Dezember 1804 in Saint Germain l’Auxerrois unter der Leitung von Luigi Cherubini, sondern auch auf die dafür erstellte Bearbeitung, die lange Zeit fortlebte. Sie reflektiert die aufführungspraktischen Voraussetzungen vor Ort, Ästhetik und Geschmack der Zeit, verzichtet ab dem Lacrimosa auf ganze Sätze (und damit auf Süßmayrs Ergänzungen) und formt am Ende doch eine sehr schlüssige Dramaturgie. So wurden die Bassetthörner durch Englischhörner ersetzt, am Beginn des Tuba mirum bringt ein Blechbläsertutti die Mauern Jerichos zum Einstürzen (das weitere Solo wird vom Fagott übernommen), die zuvor ausgelassene Kyrie-Fuge steht nun am Ende (Cum sanctis tuis).

Wieder einmal zeigen Julian Chauvin und Le Concert de la Loge ihre Kompetenz in Sachen «Mozart», auch wenn hier die Totenmesse in einer anderen Gestalt erklingt. Die Leichtigkeit der Streicher und die in sich abgerundeten Bläser, die kantable Gestaltung und die fallweise zupackenden Akzente erscheinen vollkommen ausgehört. Dabei wollen sie nicht überreden, sondern fügen sich einfach in eine sehr konsistente Interpretation der Partitur – vor allem dort, wo sich die Faktur verdichtet. Freilich bringt die ganz instrumental gedachte und im Tempo angezogene Schlussfuge den sonst sehr gut disponierten Chor merklich an seine Grenzen (da hätte man hinhören und eingreifen müssen). Bei der nur wenige Wochen zuvor aufgeführten Krönungsmesse für Napoleon von Giovanni Paisiello funktioniert der von Chauvin bevorzugte und vielfach erprobte Zugang zur Musik allerdings nur bedingt. Die italienisch geprägte, zwischen Oper und Liturgie stehende Komposition zeigt deutlich Züge einer repräsentativen Gebrauchsmusik – auch wenn die Einspielung sich hier hinsichtlich der Mitwirkenden an einer «normalen» Besetzungsgröße orientiert. Dennoch: Es ist verblüffend, was einst nahezu zeitgleich an einem Ort gespielt wurde und mit unterschiedlichen historischen Kontexten verknüpft ist. NB. Als 1840 Napoleons Leichnam in den Invalidendom überführt wurde, erklang natürlich Mozarts Requiem.

Wolfgang Amadeus Mozart. Requiem d-Moll KV 626 (Paris 1804); Giovanni Paisiello. Messe pour le sacre de Napoléon
Sandrine Piau (Sopran), Chantal Santon Jeffery (Sopran), Eleonore Pancrazi (Mezzo), Mathias Vidal (Tenor), Thomas Dolié (Bariton), Chœur de Chambre de Namur, Le Concert de la Loge, Julien Chauvin

Alpha ALP 919 (2022)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 4 von 5 in Michael Kubes HörBar #102 – Mozart. Requiem