19. März 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch
Dandrieu & Corelli / Le Consort

Dandrieu & Corelli / Le Consort

Was viele Jahrzehnte später als Streichquartett zum «Gesellenstück» wurde, das war um die Wende zum 18. Jahrhundert die Triosonate. In der Nachfolge von Arcangelo Corelli und maßgeblich beeinflusst von seinen Opera entstanden zahlreiche Sammlungen, in der Regel von sechs Sonaten. Hier ist auch das 1705 gedruckte «Opus 1» von Jean François Dandrieu (1682–1738) zu verorten, der sich frühbegabt den Tasteninstrumenten zuwandte und als Musiker bis zu einem der vier etatmäßigen Organisten an der Chapelle Royale in Versailles aufstieg. Dass von ihm nur weniges gedruckt wurde und nur wenig mehr erhalten

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Mozart & Paisiello / Julien Chauvin

Mozart & Paisiello / Julien Chauvin

Wer sich beim Anhören dieses Albums etwas verwundert am Ohrläppchen zupft, hat vermutlich keine Notiz vom Kleingedruckten auf dem Cover oder anderen in Klammer gesetzten Angaben genommen. «Paris 1804» steht da – Ort und Jahr verweisen nicht nur auf die erste Aufführung von Mozarts Requiem in Frankreich am 21. Dezember 1804 in Saint Germain l’Auxerrois unter der Leitung von Luigi Cherubini, sondern auch auf die dafür erstellte Bearbeitung, die lange Zeit fortlebte. Sie reflektiert die aufführungspraktischen Voraussetzungen vor Ort, Ästhetik und Geschmack der Zeit, verzichtet ab dem Lacrimosa auf ganze

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Bruckner 8 / Paavo Järvi

Bruckner 8 / Paavo Järvi

Es verblüfft mich stets aufs Neue, wenn Dirigenten mit wechselnden Orchester das immer gleiche Repertoire einspielen. Auf die Spitze trieb es einst Karajan, der mit «seinen» Berliner Philharmonikern den Beethoven-Zyklus gleich dreimal für die kleine Ewigkeit festhielt – damit lange Zeit präsent blieb und dem Label anhaltenden Umsatz bescherte. Gerade die großen Namen verleiten zu derartigen Doppelungen – nicht genug damit, dass man sie im Konzertsaal ohnehin in Dauerschleife hört. So nun auch Paavo Järvi. Nicht ausgemacht ist, ob er mit der 7. und 8. Sinfonie von Anton Bruckner einen

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Tubin / Paavo Järvi

Tubin / Paavo Järvi

Das Estonian Festival Orchestra unter der Leitung von Paavo Järvi ist schon lange keine unbekannte Größe mehr. Beim französischen Label Alpha ist nun schon die vierte Produktion herausgekommen – und wieder ist es ein überaus zielsicherer Griff ins Repertoire, der dieses Album besonders werden lässt. Mit zwei Werken steht das Schaffen des estnischen Komponisten Eduard Tubin (1905–1982) im Zentrum, flankiert durch zwei herausragende Werke aus Polen von Grażyna Bacewicz (Concerto, 1948) und Witold Lutosławski (Musique funèbre, 1958) für Streichorchester. Ein dramaturgischer Coup, der zudem die wunderbare Trauermusik von Lutosławski wieder

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Winterreise / Benjamin Appl

Winterreise / Benjamin Appl

Was für eine Intensität. Benjamin Appl denkt und singt Schubert Winterreise vom ersten Ton an als ein Psychogramm des Wanderers, der seine Emotionen, sein Innerstes auf den Lippen trägt. Puristen des notierten Urtextes oder des gepflegten Kunstliedes mögen sich dabei an manchen Stellen stören, wenn Appl bisweilen Töne zerbrechlich wirken lässt, unvermittelt in Sprechgesang verfällt, in sich versinkt oder aufbegehrt. Auch James Baillieu setzt am Klavier immer wieder eigene Akzente in Artikulation und Phrasierung. Ist diese Winterreise womöglich allzu frei in der Gestaltung? Wie so oft im Leben kommt es

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Mozart / Le Concert de la Loge

Mozart / Le Concert de la Loge

Es ist erstaunlich, wie Solisten, Ensembles und Orchester in der Regel einer beständigen Veränderung ihrer musikalischen Sichtweise unterliegen. Ob sie es selbst im aktuellen Prozess bemerken, sei dahingestellt; eher dürfte der Beobachter von außen neue Wendungen bemerken, die womöglich in einen Umschwung münden werden – letztlich ergeht es einem selbst auch bei aller Reflexion ebenso. Erst später erscheint oft alles klar. Wenn ich ein paar Jahrzehnte zurückdenke, dann fallen mir sofort einige Orchester ein (vorzugsweise der historisch informierten Aufführungspraxis), die bis zu einem gewissen Punkt interpretatorisch Hervorragendes leisteten, sich in

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Vienna 1900

Vienna 1900

Auch hier stimmt die als Motto gewählte Jahreszahl nicht ganz. Vielmehr ist mit «Wien 1900» eher ein «Wien um 1900» gemeint – also jene Zeit, in der sich die alte Donaumetropole längst in eine Stadt mit mondänem Ring und historisierendem Rathaus gewandelt hatte (die heutige breite Einbahn-Autoschneise gibt so gut wie nichts mehr von der einstigen breitflächigen Anlage wieder). Von den ausgefahren Bahnen der Musik setzten sich Schönberg und sein Kreis schon in den ersten Jahren des neuen Säkulums ab, auch wenn man heute viel stärker ihre Nähe zu den

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Tonhalle-Orchester Zürich

Tonhalle-Orchester Zürich

Ein Album, das aus einem Gast-Aufenthalt heraus entstand: In der Saison 2021/22 probte und konzertierte John Adams als «Artist in Residence» mit dem Tonhalle-Orchester Zürich. Die daraus geborene Einspielung dirigierte dann aber doch Chefdirigent Paavo Järvi, während sich Adams mit seinen Partituren in der Hand hörend und beratend ins Parkett zurückzog (die offenbar inspirierende Atmosphäre ist durch die im Booklet beigegebenen Fotos dokumentiert). Die Auswahl der vier Werke gibt einen guten Überblick über 20 Jahre Schaffen – und auch aus einem anderen Grund scheint mir die CD außergewöhnlich: Sie portraitiert

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Anima Eterna Brugge

Anima Eterna Brugge

Dass dieses Album zu kurz wäre, kann man nun wirklich nicht sagen. Mit einer Spielzeit von 79’48“ geht es an die Grenze. Und wo es fast alle Ensembles bei der Einspielung von Schuberts Oktett belassen (immerhin mit einer Dauer von etwas mehr als einer Stunde), da legt hier die bunt gemischte Formation von Anima Eterna Brugge nach: nämlich das unterschätzte, kaum gespielte und noch seltener zu hörende Septett von Franz Berwald (1796–1868). Weder Werk noch Komponist haben weit und breit irgendein Jubiläum – was diese Produktion eigentlich gleich sympathisch machen

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Haydn / Giovanni Antonini

Haydn / Giovanni Antonini

Frisch und frech geht es in die nun schon elfte Runde der sich kontinuierlich erweiternden Gesamteinspielung der Sinfonien Joseph Haydns. Bis 2032 sollen dann alle Werke vorliegen, dazu noch die eine oder andere instruktive Ergänzung aus anderen Gattungen oder von zeitgenössischen Komponisten, auf die sich Haydn bezog, oder die sich auf Haydn bezogen. Und wer zunächst etwas skeptisch auf den bis dahin stehenden Editionsplan blickte, der dürfte sich inzwischen schon die Augen gerieben haben. Ja, solch’ große und langfristig angelegten Projekte sind auch im fortschreitenden 21. Jahrhundert möglich – und

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Filippo Gorini

Filippo Gorini

Virtuosität und Poesie zeichnen das Spiel von Filippo Gorini aus. So rollt bei ihm der Canon alla duodecima mächtig an, während der Contrapunctus XII geradezu introvertiert zelebriert wird. Es sind diese Gegensätze, die in allen Belangen für dieses Doppelalbum charakteristisch sind. Denn Filippo Gorini gestaltet die Faktur der Fugen pianistisch (und eben weniger als abstrakten Tonsatz), lässt manches im Legato, im Piano und Pedal verschwimmen und vergehen, greift anderes dann aber umso akzentuierter auf. Entstanden ist auf diese Weise eine sehr persönliche Sichtweise auf die Komposition als Ganzes. Mit einigen

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Winterreise / Zender

Winterreise / Zender

Wer Schuberts Winterreise in der ihr eigenen Modernität weiterdenkt, wird an Hans Zenders «komponierter Interpretation» aus dem Jahre 1993 nicht vorbeikommen. Die Partitur stellt den seltenen Glücksfall einer kongenial empfundenen und ausgearbeiteten «Musik über Musik» dar, ein Werk der inneren wie äußeren Verdichtung, ein Werk, das auf seltsam irritierende Weise die schon von Schubert angelegten Klänge durch neue Farben und Spielweisen aus der Beengtheit des modernen Klaviers befreit (mit Blick auf ein für Schubert zeitgenössisches Instrument mit seinem viel reicheren Spektrum stellt sich die Frage freilich ein wenig anders). Hans

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