4. Dezember 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Charles Villiers Stanford / Requiem

Charles Villiers Stanford / Requiem
Charles Villiers Stanford / Requiem
Gleich zu Beginn des Booklet-Essays wird eine wichtige Frage zum Requiem von Charles Villiers Stanford (1852–1924) aus dem Jahr 1896 aufgeworfen: Warum vertonte der in Dublin geborene, protestantisch sozialisierte und später mit zahlreichen Werken der anglikanischer Kirchenmusik eng verbundene Komponist ausgerechnet den Text der römisch-katholischen Totenmesse? Man muss die Komposition nicht unbedingt mit dem Tod Frederic Leightons, eines bedeutenden neoklassizistischen Malers und Bildhauers in Verbindung bringen – vielmehr handelt es sich bei dem Requiem um ein Auftragswerk für den Konzertsaal, in dem sich der Text von seiner ursprünglichen liturgischen Funktion emanzipiert und nur noch Träger traditioneller Ausdruckscharaktere und satztechnischer Konstellationen ist. Die Uraufführung fand am 6. Oktober 1897 im Rahmen des Birmingham Triennial Festival in der Town Hall statt.

Ein Kritiker bemerkte ein Jahr später in der Musical Times nach einer Aufführung in Leeds, das Werk verbinde «Teutonische Nüchternheit und Intellektualität [mit] einem deutlichen Gefühl lateinischer Sinnlichkeit.» Aus heutiger Sicht handelt es sich hingegen um ein Werk, das nach Stil und Ausdruck seinen festen Platz in der viktorianischen Epoche hat. Man sollte jedoch nicht vergessen, dass Stanford 1874 eine der ersten britischen Aufführungen des Deutschen Requiems von Johannes Brahms leitete. All dies und noch viel mehr (etwa das hinreißend helle Sanctus) machen dieses Requiem zu einer faszinierenden Komposition, in der ganz unterschiedliche Ideen und Strömungen zusammenfinden. Vor allem aber ist es ein wirklich dankbares Werk für große Oratorienchöre. Mit dieser Aufnahme von 2022 wird auch das das 125-jährige Jubiläum der Uraufführung gefeiert. Ein sehr geschlossenes Solistenensemble, dessen Stimmen sich wie selten organisch zusammenfügen, ein bestens disponierter Universitätschor (Respekt!) und das souveräne City of Birmingham Symphony Orchestra unter Martyn Brabbins tragen zum Gelingen bei. Ein musikalisch und interpretatorisch beeindruckendes Album.

Charles Villiers Stanford. Requiem op. 63 (1896)
Carolyn Sampson (Sopran), Marta Fontanals-Simmons (Mezzo), James Way (Tenor), Ross Ramgobin (Bariton), University of Birmingham Voices, City of Birmingham Symphony Orchestra, Martyn Brabbins

Hyperion CDA 68418 (2022)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 4 von 5 in Michael Kubes HörBar #138 – Requiem

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