23. November 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Duarte / Belfort Guitar Duo

Duarte / Belfort Guitar Duo
Duarte / Belfort Guitar Duo
Was wäre das Gitarren-Repertoire ohne die Werke von John W. Duarte (1919–2004)? Duarte, der zeitweise als Chemiker arbeitete und einige Jahre einen Tabakladen hatte, fand neben seinen Kompositionen erst ab 1974 als Direktor von Cannington International Guitar Summer School and Festival seinen Platz im Berufsleben – ein Amt, das er für 20 Jahre versah und vieles bewegte. Wirft man einen Blick auf sein Œuvre, traut man den eigenen Augen kaum. In einem Zeitraum von über 60 Jahren (zwischen 1941 und 2003) entstanden nicht weniger als 148 gezählte Kompositionen, daneben aber noch viele weitere ungezählte Stücke und Bearbeitungen – und alle sind ohne eine einzige Ausnahme mit wenigstens einer Gitarre besetzt.

Mit einer nun schon zweiten Folge macht das Belfort Guitar Duo auf jene Werke aufmerksam, die kaum mehr in der Öffentlichkeit zu hören sind – obwohl sie doch eine Alternative, zumindest aber ein gutes Supplement zu jenen ganz wenigen Partituren darstellen, mit denen jeder Solist und jede Solistin reüssiert (oder wohl auch reüssieren muss). Dabei verblüffen die Werke durch eine angenehme Gefälligkeit im konservativen Stil: die Tudor Fancy op. 50 (1971/72) erinnert ein wenig an die Tallis-Fantasie von Vaughan Williams (bei Duarte nach Vorlagen aus dem Fitzwilliam Virginal Book), das Concerto alegre op. 101 (1986) für zwei Gitarren und Kammerorchester (zwei Vibraphone eingeschlossen) ist der Zeit gänzlich enthoben; das Concertante Quartet op. 22 (1957) stellt sich für mich als die interessanteste Partitur dieses Albums dar (auch wenn alles nach pre-Britten klingt). Doch gerade hier klingt das neben der Gitarre verlangte Streichtrio schwerfällig und hölzern. Fällt in diesem Fall die hörbare Differenzierung gegenüber der Gitarre noch weniger ins Gewicht, so sind die Kompositionen mit Ensemble oder Orchester akustisch gänzlich zum Solo hin verschoben (das Orchester klingt zudem seltsam blass und ohne gestalterischen Willen). Auch für mehr technische Sorgfalt war angesichts der schwierigen Produktionsbedingungen offenbar keine Zeit: Die vom Orchester begleiteten Solo-Werke wurden an nur einem einzigen Tag eingespielt (das Quartett an einem anderen). Schade.

John W. Duarte. A Tudor Fancy op. 50; Next Market Day; The Coolin of Rum; Concertante Quartet op. 22; Concierto alegre op. 101
Antonio de Innocentis (Gitarre), Nicola Montella (Gitarre), Belfort Chamber Orchestra, Belfort Chamber Ensemble, Gian Luigi Zampieri

Brilliant Classics 96510 (2022)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 4 von 5 in Michael Kubes HörBar #094 – Gitarre