4. Dezember 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Valentin Silvestrov / Klaviermusik

Valentin Silvestrov / Klaviermusik
Valentin Silvestrov / Klaviermusik
In dieser Musik ist die Gegenwart weit entfernt. Eingespielt wurden kleine Sets von zwei oder drei Serenaden, Pastoralen und Stücken, die Valentin Silvestrov zwischen 2005 und 2021 geschrieben hat. Von ihm selbst stammt die Idee, diese kleinen Einheiten zu größeren zusammenzufügen – eine Idee, die der Pianist Tomasz Kamieniak für dieses Album unter dem Motto «Echoes of Harmony» aufgegriffen und weitergesponnen hat. Hinzu kommt eine sehr persönliche Komponente: Silvestrov widmete 2019 Tomasz Kamieniak sein Opus 293, Kamieniak reagierte darauf 2021 mit einem eigenen Albumblatt – das Silvestrov wiederum 2022, kurz vor seiner Flucht aus Kyjiv in den Westen, am eigenen Klavier einspielte. Albumblatt und persönliche Einspielung bilden den Rahmen des Albums, wobei letztere ein den Umständen entsprechendes, bewegendes «low-fidelity home recording» ist.

Silvestrov spricht von seinen Kompositionen der letzten Jahre und Jahrzehnte als «Meta-Musik». Tatsächlich könnte man sich an den einfachen Melodien reiben, das «neo» der Musik auch als ein nahezu «Nichts» bezeichnen. Doch Silvestrov versteht es, auf diesem äußerst schmalen Grat kompositorisch sicher zu wandeln. Da klingt es mal unbeschwert nach Mozart (ohne es zu sein), da erinnert ein Tango (op. 143/3) irgendwie an Wagner und das Rheingold. Muss eine Meta-Musik in hohe Sphären entschweben, oder darf sie auch ganz irdisch mit den Klängen der Geschichte spielen? Tomasz Kamieniak selbst reflektiert dies noch einmal auf pianistischer Ebene, denn Silvestrov überlässt in der Partitur kaum etwas dem Zufall: «But does the composer leave room for interpretation latitude?» Es ist ein Album geworden, mit dem man zu später Stunde auf eine Reise gehen kann – durch die Welt oder zu sich selbst; dabei ist es auch ein Berliner Album. Silvestrov floh vor dem Krieg hierhin ins Exil, der polnische Pianist Tomasz Kamieniak hat hier seinen Wohnsitz genommen – und auch dieser Teil der Hörbar entsteht unweit der Panke.

Valentin Silvestrov. Echoes of Harmony
Drei Stücke op. 38a (2005); Zwei Serenaden op. 142 (2009); Drei Stücke op. 102 (2007); Fünf Stücke op. 143 (2006); Zwei Pastoralen op. 114 (2008); Vier Stücke op. 139 (2006); Zwei Stücke op. 293 (2019); Zwei Stücke op. 82 (2005); Zwei Pastoralen op. 316 (2021); Drei Stücke op. 136 (2005); Tomasz Kamieniak. Albumblatt V.S. op. 6 (2021); Tomasz Kamieniak / Valentin Silvestrov. Albumblatt V.S. Ukrainian Version (2021)
Tomasz Kamieniak (Klavier), Valentin Silvenstrov (Klavier)

Brilliant Classics 96809 (2022)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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