Es liegt irgendwie auf der Hand, dass sich die Szene der elektronischen Musik mit der Musik von Giacinto Scelsi in Berührung setzt. Erstaunlich ist hier jedoch, dass dies auf dem Weg des Solospiels passiert und nicht im multimorbiden Kammermusik- oder Orchesterbereich – bei dem es ohnehin in der Musik von Scelsi leichter changiert als im Zustand des solo.
Der Blockflötist Jeremias Schwarzer hat dies mit den acht Tracks hier damit tatsächlich zu einem Gegenpunkt gebracht. Die Einzelwerke sind dabei selbst Bearbeitungen von anderen Solostücken Scelsis (Kontrabass, Saxophon, Gesang und bei Mantram mit unbestimmtem Instrument). Denen stehen vier Stücke von Stefan Goldmann zur Seite, beziehungsweise gegenüber. Bei der Konstruktion eines solchen musikalischen Konzepts droht die Gefahr, dass beide Welten (die der elektronischen Klangerzeugung und die des Solo-Spiels) in Konflikt geraten und sich gegenseitig ästhetisch ausstechen können. Die eine Welt durch die Wucht des Klanggeschehens, die andere durch die Substantialität des subjektiven Ausströmens im Klangbereich des akustischen Instruments.
Die beiden Welten lösen sich aber vornehm und respektvoll ab wie bei dem musikalischen Staffellauf. Symptomatisch dafür die Übergänge in und aus dem Nichts heraus zwischen Scelsis „Maknongan“ (ursprünglich für Kontrabaß solo) und dem folgenden „Cepstrum“ von Stefan Goldmann, welches erst nach einer Weile in quasi klanglich umschlägt in ein breitbandiges Wechselgemisch. Dafür geht es dann fast nahtlos mit den „Tre Pezzi“ (ursprünglich für Saxophon solo) von Scelsi weiter. Aus diesen übernimmt Goldmann dann im titelgebenden Stück „Sfera“ zunächst die rhythmischen Elemente, wobei im Klangphänomen der Blockflötenton präsent bleibt – und dann entwickelt sich das Stück einfach weiter und überrascht in Dringlichkeit. Bei nächsten Stück von Goldmann („Baïr“) ist die Blockflöte dann endlich auch akustisch konkret integriert.
Das Konzept kann man mitgehen, wenngleich es in „Baïr“ an seine Grenze kommt und seine ästhetische Eigenständigkeit zunächst verliert, bis dann doch der Klang der Blockflöte genügend Transformation erfährt und erst dadurch integral das Stück überformt.
Exkurs: Die Aufnahme wird mit einem der letzten (vielleicht sogar dem letzten) Stücke Scelsis aus dem Jahr 1987 beschlossen. Zuvor bei Goldmanns Anaphora kommen Phasenfetzen vor, wie ich meine, sie früher in meinem UKW-Empfänger am Rande der Tuning-Skala, jenseits von 87,5 MHz gehört zu haben. (Eurosignal)
Nicht ganz ohne Witz: Der schwarze Punkt auf dem Cover, der Gegenstück sein mag zum Ring-Symbol, das für Scelsi steht (auch eine Sphäre – Sfera). Ironisch nicht nur in der Brechung, sondern zudem dialektisch gesehen, da es auch möglich ist, dass es sich hier weiterhin um einen schwarzen Ring handelt, der eben nur auch schwarz gefüllt ist.
Giacinto Scelsi, Stefan Goldmann, Jeremias Schwarzer: Sfera
- Jeremias Schwarzer – recorder
- Stefan Goldmann – synthesis
Recorded by Siegbert Ernst. Mixed by Stefan Goldmann. The Scelsi recordings were co-produced with Deutschlandfunk.
- Stefan Goldmann – Instauratio 02:21
- Giacinto Scelsi – Maknongan 04:25
- Stefan Goldmann – Cepstrum 09:22
- Giacinto Scelsi – Tre Pezzi (Primo) 02:56
- Giacinto Scelsi – Tre Pezzi (Secondo) 03:37
- Giacinto Scelsi – Tre Pezzi (Terzo) 02:31
- Stefan Goldmann – Sfera 08:02
- Giacinto Scelsi – Ave Maria 02:46
- Giacinto Scelsi – Alleluja 02:37
- Stefan Goldmann – Baïr 06:53
- Stefan Goldmann – Anaphora 06:40
- Giacinto Scelsi – Mantram 08:18
Macro – MACRO M64