23. November 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Camille Saint-Saëns / François-Xavier Roth

Camille Saint-Saëns / François-Xavier Roth
Camille Saint-Saëns / François-Xavier Roth
Dass neuerdings so viel Musik von Camille Saint-Saëns (1835-1921) auf Tonträger (und damit auch im Streaming) erscheint und verfügbar wird, ist eine absolut erfreuliche Entwicklung. Endlich, ja endlich, kommt dieser große Komponist zu Ehren, der vielfach auf den «Schwan», den missverstandenen «Karneval» oder die Orgelsinfonie verkürzt wurde. Ich kann mich noch sehr gut erinnern, wie mir zu Studienzeiten beim damaligen örtlichen CD-Händler meines Vertrauens (mit dem schönen Namen «Hört sich gut an») eine Veröffentlichung mit sämtlichen(!) Sinfonien in die Hände fiel und ich mich an den unbekannten Werken (die Sinfonie mit der Orgel ist als «Nr. 3» die letzte von fünf) nicht satt hören konnte. Inzwischen sind sogar die Sinfonischen Dichtungen in den Fokus genommen wurden – möglicherweise nur, weil nunmehr die Gesamtausgabe (noch ein «endlich»!) die Werke in neuen gesicherten Editionen verfügbar macht.

Das Doppelalbum von «Les Siècles» und François-Xavier Roth vereint gleich mehrere Welten: drei sinfonische Dichtungen, das wunderbare «Bacchanal», Le Carnaval und dann sogar noch eine Stummfilmmusik aus dem Jahre 1908. Obwohl auf hohem interpretatorischen Niveau stehend, berühren diese Einspielungen jedoch nicht wie sonst bei diesem Ensemble. Vielleicht waren es die Corona-Bedingungen, die hier auf seltsame Art Einfluss nahmen – man vergisst derlei viel zu schnell. Nachweisen lässt sich das optisch nicht (ein Foto von der Produktion ist im Booklet nicht abgebildet), der Höreindruck aber lässt es stark vermuten. Stattdessen wird symbolisch ein Pleyel’scher Doppelflügel inszeniert, wie er sich auch im Stuttgarter Fruchtkasten findet. Obgleich es sich beim Carnaval eher um eine Geschichte für Kenner handelt (die dann die teilweise boshaften musikalischen Anspielungen verstehen), so fehlt mir hier eine gewisse Lockerheit. Was wirklich möglich ist, das offenbart das beliebte und hier mit berückender Atmosphäre gespielte Bacchanale: Es mutet mit den zeitgenössischen Instrumenten (vor allem den Holzbläsern) unglaublich frisch und exotisch an. Saint-Saëns, der oft aus gesundheitlichen Gründen die trockene Hitze Nordafrikas aufsuchte, nahm von dort eben auch zahlreiche klingende Eindrücke mit…

Camille Saint-Saëns. Phaéton op. 39; La Jeunesse d’Hercule op. 50; Le Rouet d’Omphale op. 31; Danse macabre op. 40; Bacchanale aus: Samson et Dalila op. 47; Le Carnaval des animaux; L’Assassinat du duc de Guise
Les Siècles, François-Xavier Roth

harmonia mundi HMM 902614.15 (2021)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 3 von 5 in Michael Kubes HörBar #108 – Sinfonisches