2 x 3 macht 4. Wer kann sich nicht an diese Milchmädchen-Rechnung erinnern, die einst Pippi Langstrumpf aufmachte? In der Musik wurde freilich schon immer gezählt, meist bis sechs oder zwölf, sei es im Hexachord, in Werkgruppen des Barock oder den zwölf Halbtonschritten der Oktave. Die «Hundert» kommt da gar nicht so oft vor, wie man vermuten könnte. Am frühesten hat möglicherweise Georg Philipp Telemann mit ihr kokettiert – nicht aus polygraphischer Sportlichkeit, sondern mit enzyklopädischer Systematik: Sieben mal sieben und ein Menuet heißen die beiden 1728 und 1730 veröffentlichten Sammlungen, in denen er die gängigsten sieben Tonstufen durchschreitet: jeweils eine in Dur und Moll mit sieben Menuetten auf einem zunächst separat gelieferten Bogen Papier – das 50. bzw. 100. Stück gab’s quasi obendrauf. Gewidmet ist die erste Hälfte dem offenbar musikvernarrten Harburger Kaufmann Andrea Plumejon: «Als, großen Musen-Freund, mein Kiel diß Werk begann, / hab ich dir’s alsofort zu eigen widmen wollen, / und zwar, dieweil ich mich auf dein Gesuch besann, / daß ich von dieser Ahrt dir etwas liefern sollen.»
Auch erfahren wir etwas über den kompositorischen Anspruch: «Zudem diß kleine Ding ist so geringe nicht. / Denn wisst, daß man dabey gar viel erwägen müsse: / Gesang und Harmonie, Erfindung und Gewicht, / und was es mehr bedarf, sind keine taube Nüsse.» Tatsächlich hatte Telemann nicht nur (wie man gemeinhin weiß) ein unendlich musikalische Einfälle produzierendes Genie, sondern auch Weitsicht und Humor. Die in der Regel 16, 20, 24, 28, 32, 36 oder 40 Takte umfassenden Stücke sind zweistimmig notiert, nicht nur für das Cembalo bestimmt, sondern ermöglichen auch heute noch eine Vielzahl von Besetzungen oder gar Arrangements. Im ersten Set werden entfernte Tonarten wie e-Moll / E-Dur berührt, im zweiten F-Dur / fis-Moll. Die zweiten fünfzig (sie sind dem Grafen Friedrich Carl von Erbach und Limburg gewidmet) stehen ganz im Zeichen des von Telemann propagierten «vermischten Geschmacks»: «Der Franzen Munterkeit, Gesang und Harmonie, / der Welschen Schmeicheley, Erfindung, fremde Gänge, / der Britt- und Polen Scherz, verknüpfst Du sonder Müh / durch ein mit Lieblichkeit erfülletes Gemenge.» – Und die Einspielung? Man merkt dem lustvoll gestaltenden, inspirierten Spiel von Andrea Coen sofort an, dass er bei Ton Koopman und Alan Curtis in die Lehre ging und von Christopher Hogwood und Monica Huggett weitere Impulse erhielt. Denn Coen zählt in keinem der Stücke bloß die Takte, sondern versteht es, alle Seiten und Saiten des Cembalos mit seinem freien Spiel in Szene zu setzen. Ein faszinierendes Doppel-Album mit Petitessen, die wahrlich keine Peanuts sind.
Nach fünf Jahren Hörbar eine kleine Feierstunde mit Rückblicken. In der Folge #100 stehen Alben und Werke im Mittelpunkt, die sich auf ganz eigene Weise explizit der „Einhundert“ widmen. Nicht alles ist dabei brandneu (das liegt oft genug in der Natur der Sache) – und doch ist jede Scheibe nach wie vor lieferbar.
Georg Philipp Telemann. 100 Menuette TWV 34
Andrea Coen (Cembalo)
Brilliant Classics 96249 (2021)