23. November 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Marcus Weiss / Contemporary Concertos

Marcus Weiss / Contemporary Concertos
Marcus Weiss / Contemporary Concertos
Marcus Weiss ist nicht nur ein hervorragender Virtuose auf dem Saxophon, sondern auch ein Vermittler neuer Musik. Den ausdrucksstarken und nicht allein technisch adäquaten Interpretationen stehen richtige wie auch griffige Formulierungen zur Seite, wenn Weiss (wie im Booklet-Interview) über seine Instrumente (Stimmlagen!) und das Repertoire spricht. Dort lernt man dann auch das Wort der «Saxofonkonzertlosigkeit» kennen – geboren aus dem ernüchternden Sachverhalt, aber auch aus dem Umstand, dass viele Kompositionen nach ihrer Uraufführung vollständig von der Bildfläche verschwinden. Umso wichtiger ist dieses Album mit insgesamt vier konzertanten Werken aus den letzten 20 Jahren – höchst unterschiedlich im Stil, jeweils grundsätzlich anders in den erreichten Ausdrucksebenen und dennoch ganz auf das Saxophon mit all seinen Facetten bezogen – als ein «multifoner Rausch».

Den Anfang macht ein neues, vier Sätze umfassendes Konzert (Focus) von Peter Eötvös, das schon nicht mehr auf die einst so wichtigen «extended techniques» setzt, sondern dem Titel entsprechend Klang und Linien in den Mittelpunkt rückt – und zwar auf eine so idiomatische und noch dazu sympathische Weise, dass die Partitur in den kommenden Jahren hoffentlich auch den Weg ins reguläre Konzert findet. Als ideale Ergänzung erscheint dazu (wie auch auf dieser CD) das Konzert von Georg Friedrich Haas für das klangmächtige Baritonsaxophon. Hier eröffnet die Mikrotonalität neue Klangräume und Perspektiven, ohne kompositorisch die Fixpunkte aus den Augen und Ohren zu verlieren. Nicht minder originell, doch eher im Bereich der Erkundung sind die Saxordionphonics von Vykintas Baltakas anzusiedeln, ebenso die mit weißen Klängen beginnenden Violent Incidents von Johannes Maria Staud. Fazit: Das Album bietet keine Avantgarde, dokumentiert jedoch einen Werkbestand, der auch nach der Taufe lebendig blieb und bleiben sollte. Vermutlich nichts für Nerds, wohl aber für interessierte Feinschmecker.

Peter Eötvös. Focus. Konzert für Saxophon und Orchester (2021); Georg Friedrich Haas. Konzert für Baritonsaxophon und Orchester (2008); Vykintas Baltakas. Saxordionphonics. Konzert für Saxophon, Akkordeon und Kammerorchester (2013); Johannes Maria Staud. Violent Incidents. Konzert für Saxophon, Blechbläser und Schlagwerk (2005/06)
Marcus Weiss (Saxophon), Teodoro Anzellotti (Akkordeon), WDR Sinfonieorchester Köln, Elena Schwarz, Emilio Pomàrico, Windkraft Tirol, Karper de Roo

Wergo 7389 2 (2007, 2008, 2013, 2022)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 3 von 5 in Michael Kubes HörBar #088 – Saxophon