13. Oktober 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Antonio Vivaldi: Dorilla in Tempe RV 709 (2014/17)

Antonio Vivaldi: Dorilla in Tempe RV 709 (2014/17)

Es gibt tatsächlich Gesamteinspielungen, die nicht klotzen oder in abgefeierten Archiven graben, sondern in erstaunlicher Ruhe Schritt für Schritt und damit in gleichbleibend herausragender Qualität und aufführungspraktisch auf Höhe der Zeit voranschreiten. Einer dieser raren Glücksfälle am umkämpften Tonträgermarkt (besser wohl: der aktuell einzige) ist fraglos die vom französi­schen Label Naïve produzierte Vivaldi Edition.

Sie kann auch in der 55. Folge noch immer überraschen – hier mit der Oper Dorilla in Tempe von 1726, eingespielt in der letzten Fassung von 1734 mit nicht weniger als acht von Vivaldi selbst eingelegten Arien von Hasse, Sarro, Leo und Giacomelli. Die Version dokumentiert damit nicht nur eine übliche Praxis der Zeit, die (ganz ökonomisch) die Attraktivität des Werkes steigern sollte oder wenigstens der Stimmlage und dem Stimmcharakter der neu engagierten Sänger/innen entgegen kam, sondern auch eigene Entlehnungen, am ohrenfälligsten wohl im dritten und letzten Satz der Sinfonie, wo einem der „Frühling“ aus den „Vier Jahreszeiten“ begegnet – nun allerdings mit Chor und entsprechenden pastoralen Versen. Denn Vivaldi schrieb hier weder ein Drama noch eine Tragödie, sondern ein Schäferstück, das ihm die Erweiterung der instrumentalen Farben durch Horn und Blockflöte ermöglichte. Doch nicht nur das Orchester weiß mit den genau kalkulierten energetischen Impulsen anhaltend zu begeistern; es sind auch die Solisten, die sich ihrer Aufgabe nicht bloß entledigen, sondern in jeder Silbe und Koloratur höchstes Engagement zeigen (Romina Basso, Serena Malfi, Marina de Liso, Lucia Cirillo, Sonia Prina und Christian Senn). Gelungen ist eine famose Einspielung, die den Concerto-Compositeur ganz ohne Blaupause von einer anderen, noch immer unbekannten Seite zeigt.


Antonio Vivaldi: Dorilla in Tempe RV 709; Solisten, Coro della Radiotelevisione svizzera, I Barocchisti, Diego Fasolis
Naïve OP 30560 (2014/17)

 

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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