23. November 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Transitions / Capella de la Torre

Transitions / Capella de la Torre
Transitions / Capella de la Torre

Geradezu poetisch kommt das Cover zu dem Album-Titel Transitions daher. Sind es im Wasser stehende alte Holzpfeiler, wie man sie etwa in Norddeutschland als einfache Heringszäune kennt? Oder handelt es sich um Reste von früheren Stegen – möglicherweise gar am Ende der Welt? Und für wessen «Übergang» (Transition) mögen sie wohl stehen? – Ob damit die Vertonung des liturgischen Requiems von Francesco Cavalli (1602–1676) wirklich getroffen wurde, sei dahin gestellt. Denn Cavalli, der sowohl als Organist und Kapellmeister wie auch als Opernkomponist im Venedig seiner Zeit eine herausragende Position innehatte, schrieb genau dieses Werk offenbar ohne weiteren Auftrag, also als Summa seines eigenen Schaffens. Es ist ein fulminantes Werk, das Tradition und Gegenwart verbindet und versöhnt mit einem bis zu achtstimmigen Chor und gleichermaßen polyphonen wie homophonen Passagen voller Ausdruckskraft. All dies ist bei der Capella de la Torre vokal wie instrumental in den allerbesten Händen.

Warum auf dem Album die Sätze dieses eindrucksvollen Requiems mit anderen Werken alternieren, wird allerdings nicht ganz verständlich. Letztere passen nur bedingt in die Zeit und stellen eine Varietas her, die weder liturgisch noch inhaltlich Sinn ergibt, mithin lediglich der dramaturgischen Konstruktion geschuldet ist. Damit aber wird ein Aspekt berührt, der zusehends bei „älterer Musik» aus dem geistlichen Bereich zu beobachten ist: Man scheint dem Werkcharakter nicht mehr recht zu trauen. Bedauerlich – und mehr noch praxisfremd gedacht, wo man sich doch in guten Streaming-Portalen jedes Werk selbst separieren kann. Warum dann nicht gleich so auf dem physischen Album? Aber das ist eine Frage, die hier nur aufgeworfen, nicht aber beantwortet werden kann.

Transitions
Francesco Cavalli. Missa pro defunctis (Requiem); Gli amori d’Apollo e di Dafne / Sinfonias I & II; O bone Jusu; In convertendo; Francesco Manelli. Ciaconna «Acceso mio cuore»; Orlando di Lasso. Miserere mei Domine; Giovanni Bassano. Dic nobis Maria; Maurizio Cazzati: Trattenimenti per camera: Passacaglia; Anonymus. Victimae Paschali laudes
Capella de la Torre, Katharina Bäuml

deutsche harmonia mundi 19658794522 (2022)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 4 von 4 in Michael Kubes HörBar #114 – Stege