19. April 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Lost and found / Freitagsakademie

lost and found / Freitagsakademie
lost and found / Freitagsakademie
Das Motto dieses Albums ist nicht sonderlich originell. Zum einen finden sich bei einer nur oberflächlichen Recherche auch andere Veröffentlichungen solchen Namens, zum anderen muss man schon guten Willens sein, den Titel wirklich wörtlich zu nehmen. Was hier eingespielt wurde, sind (naheliegende) und teilweise in anderen Besetzungen altbekannte Rekonstruktionen, allen voran Rückführungen aus den späten Cembalokonzerten, aber auch Re-Arrangements einzelner Kantatensätze. Wer sich einmal durch Bachs Kantatenwerk gehört hat, bekommt eine Ahnung davon, was hier alles aus der Köthener Zeit musikalisch recycelt worden sein könnte. Ob dies allerdings wirklich so ist und in welchem Maße Bach als Komponist in das Material eingegriffen hat, ist nach wie vor ungeklärt.

Wenn man aber einmal aufmerksam auf das andere Ende dieses klingend suggerierten «Time Tunnel» schaut, tauchen Fragen auf. So etwa in der Einrichtung eines vermeintlichen «neuen» unerhörten Tripelkonzerts für Flöte, Oboe d’amore und Violine durch Walter Hindermann: Warum sollte Bach als Hofkonzertmeister in der Vorlage der Ecksätze einen Cantus firmus eingebaut haben? Das ist mir dann doch zu arg aus der posthumen Perspektive auf den Thomaskantor und den «fünften Evangelisten» geurteilt. Ein Gedankenexperiment: Wie wäre es, einmal zu versuchen, die Choräle aus den offensichtlich konzertanten Sätzen herauszulösen und damit die Musik damit wirklich wieder zu säkularisieren? Mir fällt dazu immer der Eingangssatz zu «Christ unser Herr zum Jordan kam» BWV 7 ein – womöglich der Rest eines stilistisch sehr ernsten und reifen Violinkonzerts. Es bleiben auch bei diesem Album mehr Fragen als Antworten und damit eine (fast) vergebliche Suche im musikgeschichtlichen Fundbüro. Die Interpretationen durch die Freitagsakademie (in Anlehnung an den schon eher galanten Johann Gottlieb Janitsch) nehmen sich im Tonfall sehr gewichtig aus (à la Matthäus-Passion sozusagen), erreichen aber nicht immer den anvisierten Gipfel. Ein Album, das eher zum Nachdenken über bereits allzu selbstverständlich gewordene «Rekonstruktionen» einlädt.

Bach Concertos. lost and found
Sinfonia aus der Kantate «Non sa che sia dolore» BWV 209; Konzert für Oboe d’amore A-Dur (rekonstruierte Fassung nach BWV 1055R/1, BWV 249/2, BWV 1055R/3); Konzert für Violine g-Moll nach BWV 1056; Larghetto (nach 1055R) aus: Konzert für Oboe d’amore A-Dur (rekonstruierte Fassung); Tripelkonzert für Flöte, Oboe d’amore und Violine (rekonstruierte Fassung von Walter Hindermann nach BWV 99, BWV 125, BWV 115).
Die Freitagsakademie, Katharina Suske

deutsche harmonia mundi 196587 10732 (2021)

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