26. November 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Händel / Brockes-Passion

Händel / Brockes-Passion
Händel / Brockes-Passion
Als im Jahres 1712 unter dem Titel Der für die Sünde der Welt gemarterte und sterbende Jesu die von Barthold Heinrich Brockes (1680–1747) stammende Um-dichtung der Leidensgeschichte Christi im Druck erschien, war nicht absehbar, dass in den folgenden Jahrzehnten mindestens 13 Komponisten diesen Text einer Vertonung zugrunde legten; unter ihnen Reinhard Keiser, Georg Philipp Telemann, Georg Friedrich Händel, Johann Mattheson, Johann Friedrich Fasch und Gottfried Heinrich Stölzel. Brockes traf mit seiner gleichermaßen auf Rührung wie Erschütterung angelegten Dichtung offenbar nicht nur den Geschmack seiner Zeitgenossen, sondern regte darüber hinaus in seiner Heimatstadt Hamburg eine ganz eigene aufwendige Aufführungstradition an.

Wohl bereits 1716 in London entstanden, doch erst 1719 in Hamburg erstmals öffentlich aufgeführt, geht Händels Partitur der Brockes-Passion kompositorisch in die Vollen. Zwar ist sie im Orchester etwas kleiner besetzt, doch durchzieht sie (und dies vor allem in den Arien) ein Stil, der von der italienischen Oper geprägt ist – so sehr übrigens, dass Händel später einige Nummern daraus in wirklichen Opern übernahm und auch an anderen Stellen seines Schaffens nochmals zu diesem Werk zurückkehrte. Hörbar lag ihm jedenfalls die Erschütterung des Auditoriums nähe als die Kontemplation, aber das macht diese Komposition heute noch so reizvoll. Zugespitzt geht es in der Interpretation von Jonathan Cohen zu, die trotz aller geforderten Gravität agile Agogik verlangt. Probleme lassen sich gelegentlich in der sachgerechten Aussprache finden, so etwa bei Sandrine Piau, die nicht immer genau beim Text ist. Stehen geblieben ist beim Schnitt ein nicht zu definierender fremder(!) und falscher Einsatz (Track 2, bei 0’41“). Dennoch sollte man die Produktion nicht unterschätzen. Ich habe mich jedenfalls daran gerne festgehört.

Georg Friedrich Händel. Brockes-Passion HWV 48 (Der für die Sünden der Welt gemarterte und sterbende Jesus)
Sandrine Piau (Sopran), Stuart Jackson (Tenor), Konstantin Krimmel (Bartion), Arcangelo, Vocal Cosort, Jonathan Cohen

Alpha ALP 644 (2019)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 2 von 5 in Michael Kubes HörBar #113 – Passionsmusiken