23. November 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Georg Arzberger / Fantasie

Georg Arzberger / Fantasie
Georg Arzberger / Fantasie
In der Kammermusik des 19. Jahrhunderts kommt am an Robert Schumanns Fantasiestücken op. 73 nicht vorbei. Dies gilt in erster Linie für alle Klarinettist:innen, aber auch für die Violine und das Violoncello gibt es von den drei hinreißenden Sätzen originale Adaptionen. Doch sie beflügelten auch die Fantasie anderer Komponisten jener Zeit: Nicht zufällig finden sich weitere Werke identischen Titels und ähnlichen Charakters, während es von Schumanns Märchenbildern op. 113 und Märchenerzählungen op. 132 keine direkten Nachfolger gibt. Freilich ist die Idee nicht neu, die schon rezeptionsgeschichtlich zusammengehörigen Fantasiestücke verschiedener Tonsetzer auf einem Album zusammen zu führen. Hier müssen sich Georg Arzberger und sein Label einreihen und der künstlerischen Konkurrenz stellen.

Sieht man sich dabei um, ist es allerdings überraschend, wie selten (außer den Stücken von Schumann) die anderen Fantasiestücke aufgelegt und gespielt werden. Sie zeichnen ein wunderbares Bild der kompositorischen Entdeckung der Klarinette und der kammermusikalischen Verwendung ihrer Register ab der Mitte des 19. Jahrhunderts – abseits der virtuosen Konzerte und Konzertstücke sowie der (wenigen) Quintette. Viele Sätze sind vor allem atmosphärisch geprägt, sowohl was die Harmonik wie auch den Ausdruck angeht – hier liegt die eigentliche Herausforderung bei der Interpretation im Ausgleich von Ton und Räumlichkeit. Der Klarinettist Georg Arzberger geht sie risikofreudig mit offenem Visier an, offenbart dabei viel von seiner Tongebung, verschmelzt seine Linien aber kaum mit dem begleitenden Flügel. Eher gewinnt man (auch durch die Aufstellung der Mikrofone) den Eindruck zweier gleicher Partner, die auf Augenhöhe und hohem Niveau Zwiesprache halten, ohne sich in den Formulierungen wirklich genau zuzuhören. Eigenartigerweise erscheint mir Julian Riem am Klavier dabei als der im Ganzen stärker gestaltende und «ziehende» Part. Und dennoch ist es eine sehr «hörbare» und darüber hinaus instruktive Einspielung, die man wegen des markanten Covers zu jeder Zeit im Regal oder auf dem Bildschirm wiedererkennt.

Fantasie.
August Hendrik Winding. Drei Fantasiestücke für Klarinette und Klavier op. 19; Johann Carl Eschmann. Zwei Fantasiestücke für Klarinette und Klavier op. 9; Robert Schumann. Fantasiestücke für Klarinette & Klavier op. 73; Niels W. Gade. Vier Fantasiestücke für Klarinette & Klavier op. 43; Carl Reinecke. Fantasiestücke für Klarinette und Klavier op. 22
Georg Arzberger (Klarinette), Julian Riem (Klavier)

FARAO classics B108117 (2022)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 3 von 4 in Michael Kubes HörBar #106 – Fantasien