Die «Undine»-Sonate ist aus dem romantischen Flötenrepertoire nicht wegzudenken. Vielfach eingespielt, bleibt mir doch nur diese eine Produktion mit Alexis Kossenko im Ohr – seit einigen Jahren auch bei mir. Zwei Gründe sind dafür zu nennen: das verwendete historische Instrumentarium und die damit verbundene Interpretation, die das Werk in geradezu idealer Weise verwirklicht. So spielt Alexis Kossenko eine hölzerne, sehr warm klingende Meyer-Flöte (Hannover, 1855), Vassilis Varvaresos einen dazu perfekt passenden, ausgewogenen Steinway-Flügel (New York, 1855). Mit ihnen lässt sich das geisterhafte Wehen der Sonate auf verblüffende Weise als große, mitreißende Erzählung umsetzen – wie auch die sehr hohen, hier eher geräuschhaft klingenden Töne im äußersten Diskant des Flügels.
Reineckes Ballade op. 288 (im Original für Flöte und Orchester), die im Vergleich zur Sonate gesetzter und heiterer daherkommt, gehört dagegen zu den Raritäten und bildet auf diesem Album eine ideale Ergänzung, ebenso wie die meist unbekannten zeittypischen Charakterstücke von Carl Joachim Andersen (1847–1909): als Flötist einer der Gründerväter der Berliner Philharmoniker, als Komponist ein Tonkünstler, der genau wusste, wie man bei überschaubarer Länge eines Stückes Ausdruck und Affekt in den Mittelpunkt rückt, und der seine Etüden (op. 41) musikalisch zu gestalten wusste. Eine schöne Idee ist es, diese Nummern durch einzelne Klavierstücke von Edvard Grieg (auf einem Bechstein-Flügel von 1912) zu kontrastieren und zu bereichern. Ein absolut hörenswertes Album.
Undine. Legends of Northern Europe
Carl Reinecke. Sonate für Flöte und Klavier op. 167 «Undine»; Ballade op. 288 (Arr. für Flöte und Klavier); Edvard Grieg. Lyrische Stücke (Auswahl); Joachim Andersen. Au bord de la mer op. 9; Intermezzo aus: Morceaux de salon op. 51/2; Schwedisches Volkslied aus 24 Studien für Flöte solo op. 21; Ballade et Danse des Sylphes op. 5
Alexis Kossenko (Flöte), Vassilis Varvaresos (Klavier)
Aparté 252 (2020)