23. November 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Railroad Rhythms

Railroad Rhythms
Railroad Rhythms
Ab geht die Post! Oder doch eher: «Vorsicht an der Bahnsteigkante!» Komponisten erging es einst so wie heute noch den staunenden Kinderaugen, wenn ein Zug erhaben im Bahnhof steht oder auf freier Strecke elegant vorbeizieht. Früher faszinierte wohl auch die unmittelbar greifbare Wandlung von Wasserdampf in Bewegung – natürlich verbunden mit schwarz verrußtem Dampf, vor allem mit einem echten Pfeifen der vor Kraft strotzenden Lokomotive. Diese Zeiten sind (die Museumsbahnen ausgenommen) längst Vergangenheit – eine Epoche, mit deren klimatischem Erbe man sich heute herumschlägt. Und dennoch: Wer schon einmal auf einer E-Lok mitgefahren ist und auch das Vergnügen hatte, unter Dampf durch die Landschaft zu rollen, spürt letztendlich: Die Seele will reisen, nicht rasen. Nicht umsonst spricht man von «Eisenbahn-Romantik», während man im IC oder ICE doch nur «in vollen Zügen» genießt. Und das nicht nur zur Urlaubszeit!

An die Faszination «Eisenbahn» erinnert dieses vortrefflich zusammengestellte Album mit Werken, die mehr als ein 3/4 Jahrhundert zum Klingen bringen: Vom Kopenhagener Eisenbahn-Dampf-Galopp (Lumbye) bis zum Subway Ride (Bernstein), von einer durch alle Kontrapunkte kühl rangierenden Fuge (Rosenberg) bis hin zum naturalistischen Railroad-Trip durch Südamerika (Villa-Lobos). Nur Arthur Honegger schuf ein konkretes Portrait einer Lokomotive (auch er: ein Eisenbahn-Fan), andere hingegen beließen es bei bloßen Signalen, die in gefällige Tanzrhythmen eingebettet werden. Doch auch hier begeistert das «Gerät» an sich – wobei der Galopp Bahn frei! von Eduard Strauss in seiner Zeit womöglich schneller fuhr als so manches Dampfross auf gerader Strecke. Einen schönen Kontrapunkt dazu bildet die bekannte Humoreske von Antonín Dvořák – auch ein bekennender Eisenbahn-Liebhaber, ohne allerdings in seiner Musik darüber offen Zeugnis abzulegen. – Mit den nun fast schon 20 Jahre alten Studioproduktionen reist man sehr bequem und «First Class» durch die Zeit der guten alten Eisenbahn, an die man sich nach wie vor gern erinnert. Wie lange noch?

Railroad Rhythms. Classical Music About Trains
Hans Christian Lumbye. Kopenhagen Eisenbahn-Dampf-Galopp; Aaron Copland. John Henry. A Railroad Ballad; Alois Pachernegg. Unter Dampf! Ein Zug fährt vorüber; Jacques Ibert. Le Metro; Vincent d’Indy. Horizons verts – Falconara; Eduard Strauß. Bahn frei! Galopp op. 45; Antonín Dvořák. Humoreske op. 101/7; Heitor Villa-Lobos. O Trenzinho do Caipira (aus: Bachiana Brasileira Nr. 2); Eduard Strauß. Mit Dampf. Polka schnell op. 70; Silvestre Revueltas. Construction of the Railroad; Hildung Rosenberg. Railway Fugue (aus: Voyage to America); Johann Strauß II. Vergnügungszug. Schnell-Polka op. 281; Leonard Bernstein. Subway Ride and Imaginary Coney Island (aus: On the Town); Arthur Honegger. Pacific 231 (Mouvement symphonique No. 1)
SWR Rundfunkorchester Kaiserslautern, Jiří Stárek

SWR Music 19401 CD (2005/06)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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