4. Mai 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Journeys / Music from Five Continents

Journeys / Music from Five Continents
Journeys / Music from Five Continents
In der Konzertdramatugie gibt es eine ganze Reihe ungeschriebener Regeln, an die sich nahezu alle Klangkörper in gefühlt 99,9 Prozent ihrer Programme halten. Da gibt es zunächst einen «Aufwärmer», dann ein Solo-Konzert (und hier dann leider meist mit Klavier oder Violine, seltener schon Violoncello – andere Instrumente sind kaum vorstellbar…). Nach der Pause folgt eine der großen Sinfonien des Repertoires. Einige Werke (oder auch allgemeiner: Werkgruppen) haben da schlichtweg keine Chance und keinen Platz (weil entweder die Besetzung nicht passt oder die Partitur eine zu lange Aufführungsdauer hat, als viel zu problematisch angesehen wird oder sowieso in Konkurrenz mit dem Ewig-Gleichen steht). Bleibt also der «Aufwärmer» als Spielfeld für Ideen. Kein Wunder, dass junge Komponist:innen erst gar nicht das Risiko eingehen, sich mit größeren Formen auseinanderzusetzen. Derartiges würde ohnehin nicht gespielt werden.

Diese Gedanken gehen mir durch den Kopf angesichts der auf diesem Album unternommenen «Weltumseglung» mit Werken von insgesamt neun Komponist:innen. Sie alle wären «Aufwärmer» in jeglicher Hinsicht – für das Orchester wie für das Publikum. Denn in der Kürze von meist 6 bis 8 Minuten lässt sich doch recht wenig mitteilen, musikalisch wie auch von einer eigenen Handschrift. Fraglos ist es eine schöne Idee, einige dieser meist an den Rand gedrängten Werke vorzustellen, ganz unterschiedliche Sprachen und Sprechweisen kennen zu lernen und dabei auf dem internationalen Parkett etwas für einige der vielen unbekannteren Namen zu tun. Gut jedenfalls, dass es nicht Aufträge waren, sondern die Stücke bereits zwischen 2002 und 2015 entstanden, so dass keine Partitur ein «Müssen» darstellt. Doch was bleibt? Zu pauschal sind die Stücke, beweisen allenfalls das Vermögen, ein Orchester gut in Szene zu setzen. Insgesamt scheinen mir bei diese Werken wirkliche Ideen, wenn nicht gar Aufbrüche zu fehlen: Etliche Wendungen hat man schon vielfach gehört, anderes kommt dem «easy listening» recht nahe, im Zweifel wird auch noch im 21. Jahrhundert der Rekurs auf volksmusikalische Elemente und Muster gesucht. Allerdings: The Giant Guitar von Miguel del Águila dürfte sich trotz der großen Besetzung für junge Nachwuchs-Orchester empfehlen, um das Auditorum wirklich anzuheizen. – Das Norwegian Radio Orchestra hat sich unter Miguel Harth-Bedoya der Nummern bereits in den Jahren vor der Pandemie mit Ernst und Lust angenommen – insofern keine Verlegenheitslösung. Dennoch: eine bunte Expeditionsreise ohne große Ziele.

Robert Fokkens. Uhambo Olunintsi («Journeys») (2002); Lubina Čekovská. Shadow Scale (2005); Harry Stafylakis. Brittle Fracture (2013); Nahla Farouk Mattar. El-Áin («The Evil Eye») (2005); Carlos Zamora. Sikuris (1999); Chris Gendall. Gravitas (2010/11); Aigerim Seilova. Pendulum. Evaporation (2015); Chen Zhangyi. of an ethereal symphony (2015); Miguel del Águila. The Giant Guitar op. 91 (2006)
Audun André Sandvik (Violoncello), Norwegian Radio Orchestra, Miguel Harth-Bedoya

Naxos 8.574265 (2018/19)

https://open.spotify.com/album/5kywaBGKDjm9TPTc216Gdt

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