Christian Muthspiel feiert(e) in diesem Jahr seinen 60. Geburtstag. Das zelebriert sein Label gebührend mit zwei Doppel-CDs. Die eine davon (Diary 1989–2022, Selected Recordings) versammelt älteres Material, das zu einem Puzzle sich eines Künster:innenlebens zusammenfügt. Die andere CD «Homecoming» besteht aus insgesamt 12 Tracks, die im März 2021 aufgenommen worden sind. Laut Waschzettel habe sich Muthspiel damit «den Traum eines eigenen Jazzorchesters, den er seit seinem Weggang vom Vienna Art Orchestra im Jahr 2004 hatte» erfüllt. Die an gleicher Stelle angeführte Behauptung, dass Großbesetzungen im Jazz rar geworden seien, kann der Rezensent hier nicht so ganz nachempfinden: Large Ensembles, Big Band, Jazz Orchestras füllen weiterhin ihre Regalkilometer. Dafür den «Verfall der Gagen» verantwortlich zu machen, ist dagegen fast ein bisschen arg billige Polemik. Der Verfall der Gagen betrifft ja nicht nur Großbesetzungen, sondern wird auch von der Solistin und Kammerbesetzungen beklagt. Doch das nur nebenbei. Spenden wir also unsere Honorare gleich den verarmten Big Playern unter den Major-Labels: Universal (zu dem das Sublabel EmArcy zählt), wir gedenken Deiner!
Doch zurück zum Thema, also zur Musik. Die 12 Tracks der zwei CDs von «Homecoming» sind shclichtweg Wunderstücke und Klangtüten der besonderen Art, die zahlreiche Feinschnitzarbeiten des Komponisten und Musikers Christian Muthspiel zeigen. Krassen Scheiß wie die «Jungle Fugue» sollte man nicht zu wörtlich als Fuge abhören, da wäre sie gescheitert (aber es kann ja auch nicht jeder ein reger Postbarockomantiker sein), es reicht die Idee dazu hin, vor allem, wenn sie im Laufe der Zeit diese Formidee immer deutlicher sich verwirklicht und katastrophisch zur Peripetie treibt. So etwas steht hier neben einer fabulösen Formskulptur wie sie das titelgebende Stück «Homecoming» realisiert: Schwebulöse Sounds!
Dann ist da der «Tribal Dance» der virtuose Schluckaufs in schikanösen Stolpereien harmonisiert – macht Laune. Oder die «Open Strings», die nicht nur «open» sind, aber doch genug, um den Titel dem Stück passend zu machen. Und das Ende mit dem «Requiem For A Blue Planet» ist nicht nur wokes Geschwafel, sondern in seiner Mikrotonalität sicher einen Bezug herstellend zur Klangwelt der Natur (hier vermutlich der Kommunikationswelt der Wale). Es endet, wie es sich gehört in einem ausladenden verblühenden Lamento.
Hoffen wir (wir?), dass dies Requiem nie nicht wirklich dermaleinst gespielt werden muss – aus einer anderen Galaxie heraus … In den 11 Fragen der nmz steht am Ende die Frage: Welche Musik zu Ihrer Beerdigung erklingen soll. Muthspiels Antwort: «Ich würde mir wünschen, ausschließlich zu Klängen der Natur verabschiedet zu werden. Es gibt keine schöneren, tieferen, feineren, alternativloseren Klänge.»
Christian Muthspiel & Orjazztra Vienna – Homecoming [2022]
EmArcy, 2022
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