25. April 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Signe Lund

Signe Lund
Signe Lund

Es passiert nicht oft, dass eine Komponistin so konsequent aus der nationalen Musikgeschichte «hinausgeschrieben» wurde, wie dies bei Signe Lund (1868–1950) der Fall war. Früh schon erhielt die in besonderer Weise musikalisch Begabte von Edvard Grieg den Rat, nicht zu heiraten, im Wissen um die damit verbundenen Verpflichtungen, die sie dann tatsächlich für viele Jahre vom Konzertieren und Komponieren abhielten. Schließlich ließ sie ihre Familie in Norwegen zurück und wandte sich mit finanzieller Hilfe des Schwiegervaters (!) nach Berlin, Kopenhagen und Paris. Durch ihren zweiten Ehemann, einen französischen Architekten, gelangte sie nach Nordamerika, wo sie unterrichtete und sich den damals dort noch präsenten Sozialisten anschloss. 1929 kehrte Signe Lund nach Norwegen zurück – und begegnete später während einer längeren Zugreise Vidkun Quisling, Begründer der faschistischen Nasjonal Samling. Sie ließ sich von den Ideen begeistern, zumal ihr nun die lange verwehrte Anerkennung zuteil wurde (1942–1945 erhielt sie ein staatliches Künstlergehalt). Die künstlerische Kollaboration wurde ihr nach dem Zweiten Weltkrieg zum Verhängnis: Ihr wurde das Wahlrecht entzogen und der Name aus der norwegischen Musikgeschichte als persona non grata getilgt.

Erst nach mehr als 70 Jahren scheint nun die Zeit gekommen, sich wieder mit ihrem musikalischen Schaffen auseinanderzusetzen – und mit einer Biographie voller Widersprüche. Den Anfang dazu hat der norwegische Pianist Rune Alver gemacht mit einer Pioniertat, die in seiner und Signe Lunds Heimat für Aufsehen und Diskussionen gesorgt hat. Die Frage ist dabei wieder einmal (und unter ganz anderen Vorzeichen), wo und wann man bei Komponisten (und anderen Künstlern) Biographie und Werk trennen muss, zumal in diesem Fall das Politische zwischen jugendlichem «links» und spätem «rechts» bei aller Deutlichkeit verschwimmt. Die hier eingespielten Klavierwerke stammen vor allem aus der Zeit in Nordamerika und reichen mit den Naturimpressionen bis in die frühen 1930er Jahre. Es sind (wie vielfach bei solchen ersten Annäherungen) zumeist Stücke kleineren Formats, die die Komponistin als Spätromantikerin ausweisen, die in ihrer Musik hie und da auch norwegisches Flair à la Grieg verbreitet und unbedingt als eine bedeutende Stimme wahrgenommen werden muss. – Rune Alver spielt die teilweise vollgriffigen Stücke präzise, gestaltet atmosphärisch dicht und bricht musikalisch eine Lanze für Signe Lund.

Signe Lund. Études poétiques
Peace Chimes op. 52; Festive Prelude op. 21; Piano Pieces op. 16; Piano Pieces op. 17; Album Leaf op. 19; Piano Pieces op. 24; Trois études poétiques op. 32; Ballade op. 37; Concert Étude op. 38; Impressions of Nature op. 61
Rune Alver (Klavier)

LAWO LWV 1196 (2019)

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