16. Oktober 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Karel Husa / Tomáš Brauner

Karel Husa / Tomáš Brauner
Karel Husa / Tomáš Brauner

Er ist einer der großen tschechischen Komponisten des 20. Jahrhunderts – und doch dürfte Karel Husa (1921–2016) den wenigsten allein dem Namen nach bekannt sein. Der Grund dafür sind die politischen und ideologischen Verhältnisse, die dazu führten, dass er Europa in den 1950er Jahren den Rücken kehrte: Während der Zeit des Zweiten Weltkriegs blieb er in Prag unbehelligt und studierte bis 1951 in Paris bei Arthur Honegger. Als ihm von der Heimat her ein zunehmend scharfer Wind entgegen blies, blieb er vorerst in Frankreich, nahm dann aber 1954 eine Professur für Komposition und Musiktheorie an der Cornell University an – eine Lebensstellung. Wie aufmerksam Husa von der Neuen Welt aus das Geschehen hinter dem Eisernen Vorhang verfolgte, zeigt die Musik für Prag 1968. Dabei handelt es sich um ein Werk in der langen Tradition der Musiken in tempore belli: Begonnen hat Husa die Komposition (im Original für Bläser und Schlagwerk) am Tag des sowjetischen Einmarsches in die Tschechoslowakei am 21. August 1968 und somit unmittelbar unter dem Eindruck der damals aktuellen Ereignisse. Davon zeugt auch die Einbeziehung des hussitischen Chorals «Die ihr Gottes Streiter seid» – eine alte Kompositionstechnik, die aber noch immer eindrucksvoll zieht.

Dass dieses Werk Husas meistgespielte Komposition werden sollte, war sicherlich zunächst nicht abzusehen, ist aber fraglos nachvollziehbar (er hat sie später selbst nochmals für großen Orchester bearbeitet). In seinem langen Schatten hatte es das weitere Œuvre dann auch nie leicht, wirklich Gehör zu finden. Eine Lanze bricht nun dieses vorzügliche Album mit dem Prague Symphony Orchestra und seinem neuen Chefdirigenten Tomáš Brauner. Kaum besser und programmatischer kann man wohl nicht beginnen, zumal hier zwei Werke aus ganz anderen Jahrzehnten beigegeben werden: die frühen, starken Orchester-Fresken (1946/47) wie auch die viel spätere, authentische Sinfonie Nr. 2 (1983). Der hervorragend disponierte Klangkörper wird von der Tontechnik glänzend in Szene gesetzt, was der Musik durchwegs zugute kommt: durchsichtig selbst im Tutti, zugleich aber ohne die sich leider oft dazu einstellende analytische Kühle. Ein starkes Plädoyer für einen in der Alten Welt fast vergessenen Zeitgenossen.

Karel Husa. Sinfonie Nr. 2 «Reflections» (1983), Trois fresques (1946/47), Music for Prague 1968 (1969)
Prague Symphony Orchestra, Tomáš Brauner
Supraphon SU 4294-2 (2020, 2021)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 4 von 5 in Michael Kubes HörBar #045 – Sinfonisches