Thomas Dausgaard ist ein rühriger Dirigent, der einen erkennbar eigenen Interpretationsstil pflegt. Mit dem Swedish Chamber Orchestra (Örebro) hat er etwa für das Label BIS großes sinfonisches Repertoire des 19. Jahrhunderts unter dem Motto «opening doors» eingespielt, obwohl man sich die Besetzung öfters gerne auch größer gewünscht hätte. Die klanglichen Ergebnisse sind noch immer spannend, vielfach gar erhellend. Wie dort schon zu beobachten war, zählt Dausgaard zu jenen Dirigenten, die auf dem Podest gerne auch mit dem Turbo unterwegs sind. Nicht bloß angezogene, sondern gar flotte Tempi zeugen von einer ganz individuellen Perspektive auf die Zeit als prägenden Parameter. Dies gilt auch für die vorliegende Produktion mit Bruckners Sinfonie Nr. 3 d-Moll – hier in der viel zu selten gespielten ersten Fassung von 1873, deren Uraufführung in Wien für den Komponisten ein Desaster bedeutete.
So wie Bruckner bei der Konzeption und Ausarbeitung der Partitur möglicherweise zu viel wollte (vergleichbar der nachfolgenden Vierten) und schließlich mehrfach revidierte und kürzte – dies alles ist gut dokumentiert und verwirrt dennoch immer wieder durch fehlende bzw. missverständliche Angaben –, so treibt auch Dausgaard die Partitur an ihre Grenzen. Allein der Vergleich der Spielzeiten mit der schon legendären Einspielung dieser frühen Fassung unter Eliahu Inbal aus den frühen 1980er Jahren macht schnell deutlich, was auch zu hören ist: Das für den Kopfsatz vorgeschriebene Tempo Gemäßigt, misterioso wird von Dausgaard allzu hurtig genommen, so wie auch alle anderen Sätze an Überbeschleunigung leiden. Es entsteht dabei eine Eile, die genau jener einkomponierten erschütternden Erhabenheit entgegenläuft, für die sich Dausgaard in seinem Vorwort zum Booklet begeistert. Im Scherzo führt dies das international erfahrene Bergen Philharmonic Orchestra (Blechbläser!) merklich an die Grenzen der technisch gerade noch realisierbaren Aufführbarkeit, am Ende des Finales aber zu der kuriosen Situation, dass die von Bruckner in mehreren Phasen durch Rückgriffe vorbereitete Apotheose überhitzt, verfällt und damit in der Betriebsamkeit der rhythmischen Patterns lautstark ins Leere läuft. – Dausgaard und BIS stehen erst am Anfang einer Gesamteinspielung der Sinfonien (Nr. 6 war bereits zuvor erschienen). Möge sich bei den nächsten Folgen meine Sorge hoffentlich in erwartungsfrohe Spannung wandeln.
Anton Bruckner. Sinfonie Nr. 3 d-Moll (Fassung von 1873)
Bergen Philharmonic Orchestra, Thomas DausgaardBIS-2464 (2019)
- Franz Schubert / Heinz Holliger
- Johannes Brahms / Iván Fischer
- Anton Bruckner / Thomas Dausgaard
- Karel Husa / Tomáš Brauner
- Joseph Haydn / Giovanni Antonini