27. Juli 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Beethoven 6 / Bagge

Beethoven 6 / Bagge
Beethoven 6 / Bagge

Zwischen 2002 und 2016 war in Lugano das «Progetto Martha Argerich» eine Institution – auch weil dort die Meisterin des Tastenzaubers immer wieder Repertoire-Raritäten auf das Programm setzte. Nur dem Kleingedruckten ist zu entnehmen, dass auch diese CD am Fuße des Monte Brè entstand – als eine Art hausmusikalische Manifestation im Corona-Sommer 2020. Dass man in einer Zeit, in der alle Orchester zum Pausieren gezwungen waren, plötzlich wieder vierhändig Beethoven-Sinfonien zelebrierte, mag in gewissem Sinne anrühren, zumal mit der «Pastorale» ein Werk gewählt wurde, das trotz eines reinigenden Gewitters auf heitere Weise Zuversicht verbreitet.

Warum aber die Transkription von Selmar Bagge (1823–1896) ausgewählt wurde (und nicht die von Czerny, Meves oder Ulrich), bleibt unklar. Hier schweigt sich das Booklet laut vernehmlich aus, wo doch einiges zu der überraschend kompakten, wenn nicht ganz strahlungsarmen Faktur zu sagen gewesen wäre. Jedenfalls musizieren Martha Argerich und Theodosia Ntokou (ihr langjähriges Protegé) mit Lust, Ernst und orchestralem Klang merklich im inneren Ohr. So klingt etwa das Gewitter eben doch nur wie eine wenig berührende Reduktion, mit der auch die Weiträumigkeit des Auditorio Stelio Molo gesucht wurde. Die Akustik eines kleineren Salons hätte aufführungspraktisch fraglos eine andere Perspektive verlangt. Als Ergänzung zum Unwetter war sicherlich die Sturm-Sonate gedacht. Hier aber kann Theodosia Ntokou trotz einiger markig gesetzten Akzente nicht überzeugen und lässt die ganze Tragik des Stückes abblättern. Bei ihr bleibt der Tonfall verhalten bis artifiziell, wo doch Beethoven einen Sturm der Gefühle entfesselt.


Ludwig van Beethoven. Sinfonie Nr. 6 F-Dur op. 68, arrangiert für Klavier zu vier Händen von Selmar Bagge; Klaviersonate Nr. 17 d-Moll op. 31/2
Martha Argerich, Theodosia Ntokou (Klavier)

Warner Classics 0190295164034 (2020)

 

 

 

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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