27. Juli 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Beethoven 9 / Kalkbrenner

Beethoven 9 / Kalkbrenner
Beethoven 9 / Kalkbrenner

Dass mit Transkriptionen wirklich noch Neuland zu entdecken ist, zeigt diese französische Produktion. Nicht etwa Liszts Klavier-Fassung von Beethovens Neunter lag auf dem Notenpult, sondern die bereits in den 1830er Jahren in Paris entstandene Bearbeitung von Friedrich Kalkbrenner (1785–1849). Obwohl mehrfach nachgedruckt, legte sich noch im 19. Jahrhundert der Mantel des Vergessens über sie.

Dabei beleuchtet Kalkbrenner das Original von einer höchst interessanten Seite – nicht etwas im Sinne einer genau übersetzten Klavierpartitur, sondern an manchen Stellen betont pianistisch und damit der Idiomatik des Instruments angemessen. Beethovens Partitur verliert dabei keineswegs ihre eigene Gestalt, eher werden manche Begleitfiguren oder auch der Wechsel von Tutti und Piano passend auf das Tasteninstrument übertragen. Die spieltechnischen Anforderungen haben es gleichwohl in sich. Ob wohl die Neunte so in den Pariser Salons erklungen ist? Verlangt werden im Finale jedenfalls auch die Singstimmen – allerdings mit den von Crevel de Charlemagne ins Französische übersetzten Schiller-Worten.

Statt einer Einspielung im Studio wurden Anfang 2020 Aufführungen in Nantes live mitgeschnitten. Die damit verbundene Spannung im brillant gestaltenden Spiel von Etsuko Hirose lässt die Aufnahme höchst lebendig und von weiten Bögen getragen erscheinen, offenbart allerdings spätestens in der Final-Stretta auch Ungenauigkeiten im Zusammenwirken mit dem aus Sibirien stammenden Chor; ein stimmlich flexibler moderner Kammerchor hätte die Aufgabe angemessener gelöst. Pluspunkt für das Booklet, das sich mit Kalkbrenners Transkription substanziell auseinandersetzt und einen breiten informativen Kontext aufspannt.


Ludwig van Beethoven. Sinfonie Nr. 9 d-Moll op. 125, arrangiert für Klavier (mit Soli und Chor) von Friedrich Kalkbrenner
Etsuko Hirose (Klavier), Cécile Achille (Sopran), Cornelia Oncioiu (Alt), Samy Camps (Tenor), Timothée Varon (Bass), Choeur Philharmonique d’Ekaterinbourg, Andreï Petrenko

Mirare MIR 534 (2020)

 

 

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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