7. Oktober 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Anneleen Lenaerts / Vienna Stories

Anneleen Lenaerts / Vienna Stories
Anneleen Lenaerts / Vienna Stories
«Na sowas!» möchte man ausrufen, vergleicht man den Konzept-Titel dieses Albums mit dem eingespielten Programm. Denn was haben Dvořák, Smetana oder Wagner mit Wien zu tun? Aufklärung bietet das Booklet, in dem Anneleen Lenaerts in einem Essay die recht persönliche Werkauswahl erläutert. Vorab gilt es zu realisieren, dass sie Soloharfenistin der Wiener Philharmoniker ist und die legendären «G’schichten aus dem Wiener Wald» damit ihre eigenen sind – Reflexionen prägender Interpretationen des großen Opern- und Konzertrepertoires, an denen sie in den vergangenen Jahren selbst beteiligt war, musikalisch auf diesem Album gespiegelt in recht interessanten Transkriptionen, deren Meta-Daten den Kennern vermutlich ein Mehr erschließen.

So finden sich zwei Opernparaphrasen und Arrangements einzelner Nummern neben den bedeutungsschwangeren Les Préludes von Franz Liszt, die hier allerdings in einem komplett neuen Gewand erklingen – die dramatische «Sondermeldung» weicht dabei einer milden Brise im Palmenhain, denn manch prägende Wendungen und Harmonien werden einfach auf zarten Saiten «weg-arpeggiert». Fraglich, ob sich so die dunklen Seiten der Geschichte (und die damit einhergehenden Konnotationen) auflösen lassen. Sicher hingegen ist, dass Anneleen Lenaerts ihr eigenes Arrangement technisch wie musikalisch vollauf im Griff hat. Tatsächlich entfaltet sie auf ihrem Instrument einen warmen Klang, und noch faszinierender wird es, wenn das Flageolett ins Spiel kommt. Zwar nicht als Höhepunkt, wohl aber als eine Art Wiener Schlagobers stellen sich die beiden letzten Tracks heraus (zwei Walzer von Strauss und Strauß), bei denen nun auch eine kleine Streicherformation der Philharmoniker die Harfe unterstützt. Ein interessantes Portrait-Album von der blauen Donau.

Anneleen Lenaerts. Vienna Stories
Antonín Dvořák. Lied an den Mond aus: Rusalka op. 114 (arr. von Anneleen Lenaerts); Bedřich Smetana. Vltava (Die Moldau), aus: Má Vlast (Mein Vaterland) (arr. von Hans Trneček); Richard Wagner. Walthers Preislied aus: Die Meistersinger von Nürnberg (arr. von Hans Trneček); Albert Zabel. Fantasie über Themen aus «Faust» von Charles Gounod op.12; Franz Liszt. Les Préludes S 97 (arr. von Anneleen Lenaerts); Anneleen Lenaerts. Fantasie über «La Bohème» von Puccini; Ekaterina Walter-Kühne. Fantasie über ein Thema aus «Eugen Onegin» von Peter Tschaikowski; Richard Strauss. Walzer aus: Der Rosenkavalier (arr. von Wouter Lenaerts); Johann Strauß (Sohn) An der schönen, blauen Donau op. 314 (arr. von Wouter Lenaerts)
Anneleen Lenaerts (Harfe), Rainer Honeck, Benjamin Morrison (Violine), Gerhard Marschner (Viola), Raphael Flieder (Violoncello), Michael Bladerer (Kontrabass)

Warner Classics 0190296607974 (2021)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 2 von 5 in Michael Kubes HörBar #082 – Harfe