25. April 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Serge Taneyev: Complete Chamber Music

Serge Taneyev: Complete Chamber Music
Serge Taneyev: Complete Chamber Music

Die älteste Aufnahme dieser Box zählt bereits 51 Jahre (Klaviertrio op. 22), die jüngste stammt von 1987 (Klavierquartett op. 20). Auch wenn inzwischen zahlreiche neuere Einspielungen vorliegen – bei den Streichquartetten vollständig durch das amerikanische Carpe Diem String Quartet (Naxos) – haben die nun wiederveröffentlichen Produktionen noch immer Bestand. Vor allem ist es die hörbare Selbstverständlichkeit, mit der das 1946 gegründete Taneyev Quartet die Partituren ihres Namenspatrons Sergei Iwanowitsch Tanejev (1856–1915) aufblühen lässt (so die geläufige deutsche Schreibweise). Im Westen und zumal im 21. Jahrhundert ist der Ruhm dieser Formation leider schon lange verblasst.

In der rudimentären Ensemblebiographie werden über 6.000 Konzerte in der Sowjetunion genannt; erst 1989 erfolgte (nun mit zwei Wechseln in der Besetzung) die erste Tournee durch die USA. Welch’ interpretatorischen Schatz der Eiserne Vorhang einst verborgen hielt, konnte man schon vor einigen Jahren bei den zehn, zunächst einzeln erschienenen CDs entdecken. Das in sich abgerundete Ensemblespiel kommt der von Taneyev motivisch dicht gearbeiteten obligaten Faktur sehr entgegen.

Deutlich wird dabei dessen Studium des klassischen Repertoires – ein Streichquartett Nr. 3 d-Moll op. 7 (1886) erinnert im Tonfall entfernt an Brahms, der aus denselben Quellen schöpfte. Ohnehin hatte sich Taneyev eher den großen instrumentalen Gattungen als dem Klavierstück zugewandt. Insofern bewegen sich seine Quartette ein wenig außerhalb der Zeit: sie sind retrospektiv wie zeitgenössisch zugleich, wirken emotional eher abgeklärt als leidenschaftlich, was insbesondere in dieser ästhetisch nobilitierten Gattung als kompositorisches Qualitätskriterium zu verstehen ist. Klanglich scheint auf den ersten Blick das nach den Angaben des Booklets 2019 (also erst für diese Box?) erfolgte Mastering seine Aufgabe unauffällig erfüllt zu haben. Für einen Vergleich habe ich mir aus dem Regal die 1987 erschienene Melodiya-CD mit den Streichquartetten Nr. 8 und 9 (entgegen der Zählung handelt es sich um unveröffentliche frühere Werke) genommen – und siehe da: Das hervorragend aufgenomme alte unbearbeitete Master (AAD) klingt deutlich wärmer und tiefenschärfer. Die aktuelle Aufarbeitung zieht somit nicht allein akustische, sondern auch hörästhetische Konsequenzen nach sich.


Serge Taneyev. Streichquartette Nr. 1–9 (op. 4, op. 5, op. 7, op. 11, op. 13, op. 19, 1880, 1883), Streichquintette Nr. 1–3 (op. 14, op. 16, op. 30), Streichtrios, Klaviertrio op. 22, Klavierquartett op. 20, Sonate für Violine und Klavier
Taneyev Quartet, Beynus Morozov (Violoncello), Yuri Kramarov (Viola), Tamara Fidler (Klavier), Eliso Virsaladze (Klavier), Vladimir Ovcharek (Violine), Vladimir Stopichev (Viola), Josef Levinson (Violoncello)

Northern Flowers NFPMA 98010 (1977–1987)

 

 

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