12. Oktober 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Salonmusik für Waldhorn – Renée Allen

Salonmusik für Waldhorn – Renée Allen
Salonmusik für Waldhorn – Renée Allen

Diese CD stellt eine regelrechte Spurensuche dar, bei der das Cover schon den Weg vorgibt. Denn die seit Jahrzehnten in Deutschland wirkende, auf historische Natur- und Ventilhörner spezialisierte Renée Allen hat hier ein Repertoire gesichtet und gesichert, das längst verloren schien: Es stammt aus dem 1898 in Bremen in der Edition Fischer erschienenen «Solo-Buch für Waldhorn» und umfasst insgesamt «52 ausgewählte Concerte, Fantasien etc.». Allein Robert Schumanns Adagio und Allegro op. 70 hat das Jahrhundert überstanden – bei allen übrigen Piècen handelt es sich mehr oder weniger um ausgeprägte Salonstücke, die das Horn mit seinem charakteristischen, nach dunklem Wald, ferner Romantik und verhaltener Träumerei klingenden Ton bestens in Szene setzen.

Einige sind mit «Der Abschied», «Notturno» oder «Der Kuss» überschrieben und haben eine einfache, fassliche Faktur. Dass sie dennoch nicht in falschem Sentiment ertränkt werden, ist auch den verwendeten alten Instrumenten zuzuschreiben: ein in Wien gebautes und in Bremen verkauftes Uhlmann-Horn mit Drehventilen sowie ein von Ignaz Lorenz aus Linz stammendes Naturhorn. Wer je an Brahms’ wohldokumentierter Vorliebe für dieses ältere Instrument einen Zweifel hegte, der möge hier beispielhaft nachhören, insbesondere in der Fantasie über das Volkslied «Drunten im Unterland» von Friedebald Gräfe (1840–1880) – ein Werk, das ein wenig wie eine späte Loewe-Ballade ohne Worte klingt und bei dem Renée Allen ganz gezielt einzelne Passagen mit Stopftechnik oder Ventilen ausführt. Nicht nur hier kommt der für diese Aufnahme verwendete wunderbar hell und frisch klingende Wiener Streicher-Flügel von 1857 bestens zur Geltung. Es lohnt sich, diese interpretatorisch auf höchstem Niveau stehende Produktion vom vermeintlichen Abseits einer Repertoire-Rarität ins Rampenlicht zu rücken.


Salonmusik für Waldhorn.

  • Christian Rummel: Fantasie aus «Lucia di Lammermoor» op. 88;
  • Henri Lübeck. Le Congé (Der Abschied);
  • Felix Mendelssohn Bartholdy: Lied ohne Worte op. 38/2 für Klavier;
  • Louis Scharr: Andante op. 22/2a, Allegro op. 22/2b;
  • Frédéric Chopin: Préludes op. 28/11 und op. 28/20 für Klavier;
  • Heinrich Wilhelm Ernst: Elégie;
  • Jacques François Gallay: Le Baiser (Der Kuss);
  • Friedebald Gräfe: Fantasie über das Volkslied «Drunten im Unterland»;
  • Robert Schumann: Adagio & Allegro op. 70;
  • Louis Curth: Abschied; M. Carl: Paraphrase über die «Loreley»
  • Renée Allen (Waldhorn), Zvi Meniker (Fortepiano)

arcantus arc 20017 (2019)

Spotify-Playlist
HörBar<< 19th-Century Saxophone – Kurt BertelsOpera Phantasies – Volker Reinhold >>

Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

    Alle Beiträge ansehen
hoerbar_nmz

Der HörBar-Newsletter.

Tragen Sie sich ein, um immer über die neueste Rezension informiert zu werden.

DSGVO-Abfrage* *

Wir senden keinen Spam! Erfahre mehr in unserer Datenschutzerklärung.

Teil 3 von 5 in Michael Kubes HörBar #024 – Raritäten