23. November 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Paul Wranitzky / Rolf Gupta

Paul Wranitzky / Rolf Gupta
Paul Wranitzky / Rolf Gupta
Oft sind es langweilig, gelegentlich genial – das CD-Cover. Schon lange aber ersetzt eine gute CD-Sammlung keinen Kunstkatalog mehr; Portraitfotos oder flippige Farbkompositionen haben in den letzten Jahren kontinuierlich die Präsentation eines zur Musik passenden Gemäldes oder einer stimmigen Architektur ersetzt. Mit Sicherheit liegt das nicht daran, dass die bildenden Künste nichts mehr zu bieten hätten; vielmehr geht es um maximale Sichtbarkeit und Präsenz im Augenblick. Dabei gibt es etwa bei alten Gemälden wunderbare Kontexte zum Inhalt des Albums zu entdecken. Wie hier – wenn auch um die Ecke gedacht. Haben Sie bei dieser Produktion die Amalienburg der Wiener Hofburg erkannt? Man muss zweimal hinschauen, um zu erkennen, dass der merkwürdig proportionierte Aufsatz mit einer astronomischen Uhr in späteren Zeiten wieder abgenommen wurde. Festgehalten wurde er hier 1652 durch Samuel van Hoogstraten (1627–1678) – in einer Zeit, die weit vor Paul Wranitzky (1756–1808) und seinen Sinfonien liegt.

Doch auch zwischen der Einspielung und der Veröffentlichung der Aufnahme liegt in diesem Fall ein ganzes Jahrzehnt – ein Gegenpol zu den immer schneller publizierten Live-Mitschnitten. Das ist erstaunlich, allerdings auch ärgerlich für Rolf Gupta, dem man heute kaum mehr international als Dirigent begegnet. Dabei hat er «damals» die NDR Radiophilharmonie (Hannover) mit sicherer Hand und aufführungspraktischem Gespür durch die drei unbekannten Partituren von Paul Wranitzky geführt. Die Werke sind stilistisch eher bei Haydn anzusiedeln als bei Beethoven. Dass sie etwas träge anmuten, ist allerdings (das genaue Hinhören lohnt) nicht dem Dirigenten, sondern dem Komponisten anzulasten, der zwar über ein gutes Handwerk verfügte, aber nicht immer über die kernigsten Ideen. Selbst die Anspielungen auf Mozarts Zauberflöte in der Sinfonie D-Dur hinterlassen den Eindruck des Gewollten. Anderes wiederum hat Feuer und Esprit, verweilt aber im vorgegebenen Raster. Mit diesen Werken war Wranitzky also kein Innovator – und doch lässt sich an ihnen viel lernen in Bezug auf die Instrumentation und die ersten beiden Dekaden des 19. Jahrhunderts, nach denen sich so viel ändern sollte…

Paul Wranitzky. Sinfonie G-Dur op. 50; Sinfonie D-Dur op. 37; Sinfonie A-Dur op. 51
NDR Radiophilharmonie, Rolf Gupta

cpo 777 943-2 (2014, 2016)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 4 von 5 in Michael Kubes HörBar #108 – Sinfonisches