23. November 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Saint-Saëns / Ivor Bolton

Saint-Saëns / Ivor Bolton
Saint-Saëns / Ivor Bolton
«Saint-Saëns ist der seltene Ruhm zuteil geworden, bereits zu Lebzeiten als Klassiker zu gelten.» Mit diesen Worten eröffnete der französische Literat und Musikkritiker Romain Rolland im Jahre 1901 einen dem Komponisten gewidmeten, schon in retrospektivem Ton gehaltenen Essay. Camille Saint-Saëns sollte da noch zwei Jahrzehnte leben und schöpferisch tätig sein. Bis heute ist er im deutschsprachigen Raum einer der ebenso großen wie unbekannten Komponisten geblieben; mehr als sein Carnaval des animaux und die sogenannte Orgelsinfonie (beide von 1886) steht kaum auf dem Programm, selbst die legendäre Danse macabre habe ich bisher nur ein einziges Mal live erlebt. Das wundert mich, denn seine Kompositionen, gleich ob Klavierkonzert oder Kammermusik, kommen beim Publikum zuverlässig an. Sein 100. Todestag im Jahre 2021 ging in den Monaten der Pandemie fast unter, bis 2035 (200. Geburtstag) dauert es noch. Es könnte also schon jetzt einiges geschehen.

Etwa so wie dieses Album. Schon das Äußere ist so schön und nobel gestaltet, dass man es kaum übersehen mag. Aber auch die Interpretation der sinfonischen Dichtungen macht große Freude und lädt zum anhaltenden Hören, Schwelgen und Nachdenken ein. Denn obwohl in der Nachfolge von Berlioz und Liszt stehend, konkurriert diese Gattung bei Saint-Saëns nicht mit der Sinfonie: sie ergänzt diese auf ganz eigene Weise, ermöglicht eine fantasievolle, motivisch gebundene Erfindung und eröffnet reichlich Raum für eine herausragende, farbenreiche Instrumentation. Ivor Bolton und das Sinfonieorchester Basel wissen das mit hörbarer Lust umzusetzen und erzählen die Geschichten hinter den Tönen in einer faszinierenden Lebendigkeit, die auch neuere Konkurrenzaufnahmen weit hinter sich lässt. Dass aufnahmetechnisch die Holzbläser sehr präsent eingefangen wurden, ist dabei kein Nachteil. Empfehlung!

Camille Saint-Saëns. Symphonic Poems
Bacchanal aus «Samson et Dalila» op. 47, Phaéton op. 39, La jeunesse d’Hercule op. 50, Le rouet d’Omphale op. 31. Danse macabre op. 40.
Sinfonieorchester Basel, Ivor Bolton

Prospero PROSP 0060 (2021)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 2 von 5 in Michael Kubes HörBar #090 – Sinfonisches