Hier ist es die erste Folge mit Ouvertüren von Paul Lincke (1866–1946). Angesichts der Jahreszahlen muss man sich die Augen reiben – sowohl was die biographischen Angaben betrifft wie auch die der Premieren (man vergleiche sie nur einmal mit den Uraufführungsdaten von Mahler-Sinfonien). Vor Jahren hätte man wohl von einem musikalischen Souterrain gesprochen, heute aber werden die in den Ouvertüren gebündelten schmissigen Melodien zurecht als Massenphänomen begriffen und verstanden, das alle Regionen der einstigen Kaiserreiche ergriffen hatte. Manche Tonfolge ist selbst noch im 21. Jahrhundert im kollektiven Gedächtnis präsent oder wird bei sportlichen Vergnügungen unbefangen zitiert; auch nach über 100 Jahren hat die «Berliner Luft» so oder so ihren Reiz. – Unter der Leitung von Ernst Theis nimmt sich das Brandenburgische Staatsorchester Frankfurt (Oder) des Ouvertüren-Reigens mit hoher Professionalität und Präzision an. Aufgenommen in der Frankfurter Messehalle (und unter Corona-Bedingungen) fehlt mir dennoch ein wenig jene Atmosphäre, die diese direkt ansprechende Musik zum Glühen bringt.
Paul Lincke. Overtures Vol. 1
Ouvertüren zu: Berliner Luft (1904); Lysistrata (1903); Casanova (1913); Venus auf Erden (1897); Gri-Gri (1911); Verschmähte Liebe (Walzer); Siamesische Wachtparade (1902); Ouvertüre zu einer Operette (1926); Ouvertüre zu einem Ballett (1919)
Brandenburgisches Staatsorchester Frankfurt, Ernst Theis
cpo 555 428-2 (2020)