6. Dezember 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Haydn: Sinfonien / Ivan Ilić

Haydn / Ivan Ilić
Haydn / Ivan Ilić

Musik wurde schon immer bearbeitet oder einfach gangbar gemacht. Dies betrifft vor allem die Zeit des sich etablierenden Klein- bis Großbürgertums, das auch selbst in der Guten Stube oder im Salon musizierte; ob aus gesellschaftlicher Verpflichtung heraus oder aus eigenem Interesse. Mit dem Siegeszug des Klaviers wurde es dann einfacher, sich größere Gattungen und Besetzungen «ins Haus» zu holen – in Form von Klavierauszügen (so bekanntlich die einschlägige Bezeichnung bei Opern) oder von Transkriptionen (etwa von Sinfonien, Streichquartetten etc.). Die Intention konnte dabei schwanken zwischen der idealtypischen Abbildung der Partitur auf dem Klavier (Beethoven/Liszt) oder einem an die spieltechnischen Fertigkeiten angepassten Satz.

Letztere lag auch den Bearbeitungen von Haydn-Sinfonien zugrunde, die Carl David Stegmann (1751–1826) nach der Jahrhundertwende für den in Bonn ansässigen Verlag von Nikolaus Simrock schuf. Drei dieser Transkriptionen hat nun Ivan Ilić für Chandos eingespielt – ein Unterfangen, bei dem sich am Ende aber die Frage des «Warum?» stellt, denn der heutige Hörer wird eher auf die ihm überall zugänglichen Originale zugreifen wollen, sowohl bei den Sinfonien wie auch bei den Klaviersonaten. Dass man im 21. Jahrhundert nicht alles einspielen muss, was einst die Rezeption und Verbreitung von Musik beförderte, zeigen auch die im Booklet angesprochenen Vorbehalte von Ilić selbst: Die Bearbeitung der ihm vorliegenden 25 Sinfonien (RISM weist 31 nach) sei «nicht immer wirklich überzeugend bzw. manchmal nur in einigen Sätzen gelungen». Begeisterung für neu entdecktes Repertoire sieht anders aus. Aber vielleicht versteht sich die Produktion doch eher dokumentarisch – jedenfalls geht Marc Vignal in seinem Essay auf einzelne Techniken der Transkription ein, die man gerne am Notentext mitlesend verfolgen möchte. Enttäuschend wirkt auf mich die Verwendung eines Steinway D-Flügels: Er entspricht keineswegs der einstigen Musiziersituation und lässt Stegmanns Bearbeitungen fleischlos erscheinen. Hier hätte die Verwendung eines an Klangfarben reicheren zeitgenössischen Hammerklaviers fraglos Wunder gewirkt.


Joseph Haydn: Sinfonie Nr. 92 G-Dur, Nr. 75 D-Dur und Nr. 44 e-Moll, arrangiert für Klavier von Carl David Stegmann
Ivan Ilić (Klavier)

Chandos CHAN 20142 (2019)

 

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil [part not set] von 5 in Michael Kubes HörBar #036 – Transkriptionen