Bei dem Thema Musik für Kinder kommt man an diesem Album aus dem Jahr 2019 zunächst einmal nicht vorbei. Es präsentiert in knapp 132 Minuten eine von der Pianistin Corinna Simon kuratierte (und interpretierte) Auswahl – nicht nur an Komponisten und Sammlungen, sondern auch einzelne Stücke aus derlei mehr oder weniger zusammenhängenden Folgen.
Und doch: Was ist das überhaupt für ein Repertoire «für Kinder», das hier eingespielt wurde? Die definitorische Schwierigkeit lässt ich schon an Robert Schumanns Kinderszenen op. 15 und dem Album für die Jugend op. 68 (in zwei Teilen) ablesen: Handelt es sich um «erwachsene» Reflexionen, um Werke zum Vorspielen oder um technisch einfacher gefasste Stücke zum eigenen Spiel im jungen Alter? Die Problematik durchzieht das gesamte Repertoire, seit in der Zeit der Romantik die Kindheit als eigenständiger Teil des Lebens und der Entwicklung erkannt wurde. Wer genau recherchiert, wird in der wissenschaftlichen Literatur nicht nur Studien zu diesem Thema finden, sondern auch lange und noch längere Listen des Werkbestands. Dieser stammt mehrheitlich von vergessenen Pädagogen und Pianisten – und doch finden sich auch eigenwillige Nummern mit Leuchtkraft.
Dies gilt auch für das vorliegende Doppelalbum (dem sich 2020 noch eine Fortsetzung anschloss). Es bietet zunächst eine kleine Auswahl von Stücken, die sich fraglos auch für den Unterricht eignen (und zum Nachspielen einladen). Vor allem aber handelt es sich um Sätze, die sich mit der Kindheit auseinandersetzen: einmal im Sinne von «Vorspielstücken» von Erwachsenen für Kinder (Paul Juon), ein anderes Mal als Musik gewordene Erinnerungen der Erwachsenen selbst (Enrique Granados). Gerade diese Nummern erfordern zur Realisierung eine eigene Rückschau. Insofern handelt es sich dann auch nicht um (Klavier-)Musik «für Kinder», sondern um Musik für Erwachsene. Ein Widerspruch, der sich kaum auflösen lässt – zumindest nicht in der Aneinanderreihung von teilweise interessanten und originellen, nicht immer auch leicht zugänglich Stücken.
Matthias Kornemann liegt in seinem Essay leider falsch, wenn er schreibt, es handele sich hier um eine «Schatzruhe» (sic!), ein «unentdecktes und unermessliches Land der Klaviermusik für Kinder». Die Ausgangssituation ist komplexer. Eine solche Einspielung und auch der kontextualisierende Kommentar sollten das berücksichtigen.
Corinna Simon. Klavier für Kinder Vol. 1
- Nino Rota. aus: Sieben schwere Stücke für Kinder (1971);
- Felix Mendelssohn Bartholdy. Sechs Kinderstücke op. 72 MWV SD 36;
- Aram Khatschaturjan. aus: Album für Kinder Nr. 2 (1965);
- Enrique Granados. aus: «Cuentos de las juventud» (Erzählungen aus der Jugend) op. 1;
- Heitor Villa-Lobos. Suite infantil Nr. 2 (1913);
- Robert Schumann. aus «Album für die Jugend» op. 68;
- Dmitri Schostakowitsch. aus: «Tänze der Puppen» (1952/62);
- Witold Lutosławski. aus: Volksmelodien (1945);
- Edward Elgar. Sonatina (1931);
- Bohuslav Martinu. Loutky I (Marionetten I) (1914/24);
- Johann Sebastian Bach. aus «Kleine Präludien»;
- Joseph Haydn. aus: Zwölf kleine Stücke Hob. XVII:Anh;
- Carl Reinecke. aus: Kleine Fantasiestücke op. 17;
- Paul Juon. aus: «Den Kindern zum Lauschen» op. 38;
- Reinhold M. Glière. aus: Pièces faciles op. 43;
- Erwin Schulhoff. «Ostinato. Sechs familiäre Angelegenheiten» (1923);
- Joaquín Turina. En la zapateria (Im Schusterladen) op. 71
Corinna Simon (Klavier)
Sony 19075959782 (2019)
- Klavier für Kinder / Corinna Simon
- Tschaikowsky / Yuan Sheng
- Weinberg / Aneta Majerová
- Charles Mayer / Luigi Gerosa
- Torben Enghoff / Christina Bjørkøe