Sein Ruf als «Vater der Contrapunctisten« steht wohl bis heute einer breiteren Rezeption der (erhaltenen) Werke von Johann Theile (1646–1724) im Wege. Die Zeitgenossen schätzten ihn vor allem als gelehrten Musiker und Komponisten – damals Worte höchster Anerkennung, die nun aber, in einer Zeit des eher emotionalen Musikkonsums, wenig gelten. Dabei kennen wir Theile als Komponisten kaum: Seine Werke für die Hamburger Oper am Gänsemarkt sind verschollen, und auch sonst gewinnt man mit Blick auf das überlieferte Œuvre den Eindruck, dass wohl doch das Allermeiste unwiederbringlich verloren ist.
Nicht so seine Matthäus-Passion, die er 1673 in Lübeck als frisch ernannter Gottorfer Hofkapellmeister im Druck erscheinen ließ. Theile machte sich damit im protestantischen Norden nicht nur überregional einen Namen, sondern bildete mit seinem Werk für die nachfolgenden Jahrzehnte ein gleichermaßen dramatisches wie musikalisches Modell – vor allem durch die Einbeziehung betrachtender Arien (hier als Lieder mit Ritornellen) und die durchgehende ariose Begleitung des Evangeliums (nicht nur der Christus-Worte), in der die zwischen Violinen und Gamben wechselnde Instrumentation einen Zeitenwechsel ankündigen.
Interpretatorisch liegt die Passions-Vertonung bei Manfred Cordes und seinem Ensemble Weser-Renaissance in den allerbesten Händen. So agil und vital musiziert erfährt die kleinteilige Partitur eine geradezu ideale Umsetzung – von dem lebendig ausgestaltenden Continuo (u.a. Thomas Ihlenfeldt am Chitarrone) über die solistische Besetzung des Chores bis hin zu den beiden dramatisch deklamierenden Solisten Hans Jörg Mammel (Evangelist) und Dominik Wörner (Christus). Akustisch wurde ein vorzüglicher Ausgleich geschaffen zwischen kammermusikalischer Prägnanz und einem sich im Raum entfaltenden voluminösen Klang (Chor).
Johann Theile: Passio Domini nostri Jesu Christi (Matthäus-Passion)
Weser-Renaissance Bremen, Manfred Cordescpo 555 285-2 (2019)