5. Oktober 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Fux: Gesù cristo

Fux: Gesù cristo
Fux: Gesù cristo

Erst langsam scheint Johann Joseph Fux (1660–1741) wieder aus dem Schatten der Geschichte hervorzutreten. So bekannt bis heute sein «Gradus ad Parnassum», so unbekannt blieb er als Komponist – und dies, obwohl er ab 1715 als Hofkapellmeister der Habsburger in Wien eines der wichtigsten musikalischen Ämter seiner Zeit bekleidete. Dabei scheint der Meister der Kontrapunktlehre auch durchaus einfühlsame Klänge geschrieben zu haben. Dies belegt jedenfalls seine als «Componimento sacro per musica» bezeichnete Passionsmusik mit dem Titel «Gesù Cristo negato da Pietro», die erstmals am 7. April 1719 in Wien erklang; eine zweite Aufführung fand Anfang 2020 (also nach mehr als 300 Jahren) im Wiener Konzerthaus statt.

Auch wenn dabei nicht die voluminöse Besetzung der einstmals prächtigen Hofkapelle zur Verfügung stand, muss dies nicht als aufführungspraktisches Manko angesehen werden: Vielmehr offenbart die Komposition ihre Qualität auch (wenn nicht gar noch mehr) in der minimalistisch kleinen Solo-Besetzung mit der damit verbundenen Intimität. Allerdings handelt es sich trotz der beiden CDs und einer Spielzeit von ca. 96 Minuten keineswegs um eine vollständige Gesamteinspielung; wegen der komplexen wie altertümlichen italienischen Prosa wurden die meisten Rezitative ausgelassen und im Booklet durch deutschsprachige Übersetzungen substituiert. Man mag das ernsthaft diskutieren, die offenherzige Begründung muss dann aber doch irritieren: der Text würde von einem heutigen Auditorium nicht angemessen rezipiert werden, auch hätten die Rezitative zu sehr vom «musikalischen Geschehen» abgelenkt und das «gefühlvolle Erfassen der Darbietung» behindert. Dies gilt allerdings auch für jene deutschsprachige Rezitation, die auf dem Album vor der ersten Arie beim Schnitt stehen geblieben sein dürfte…

Im Konzert mit halbszenischen Elementen verdeutlicht, überzeugt der Mitschnitt der Generalprobe interpretatorisch durch Geschmeidigkeit und gelegentliches Feuer, was die vielfach strenge Regulierung des Satzes vergessen macht. Und dennoch: Die Unterschiede wie auch die im Tonfall gelegentlich durchschimmernden Ähnlichkeiten zu den nur wenig später entstandenen Chören und Arien zweier Leipziger Passionen ist verblüffend.


Johann Joseph Fux: Gesù Cristo negato da Pietro
Daniel Johannsen, Alois Mühlbacher, Gerd Kenda, Markus Forster, Maria Ladurner, Ars Antiqua Austria, Gunar Letzbor

Accent ACC 24374 (2020)

 

HörBar<< Kieling: Matthäus-PassionPenderecki: Lukas-Passion >>

Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

    Alle Beiträge ansehen
hoerbar_nmz

Der HörBar-Newsletter.

Tragen Sie sich ein, um immer über die neueste Rezension informiert zu werden.

DSGVO-Abfrage* *

Wir senden keinen Spam! Erfahre mehr in unserer Datenschutzerklärung.

Teil 3 von 5 in Michael Kubes HörBar #030 – Passionen