8. Oktober 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Danielpour: Passion of Yeshua

Danielpour: Passion of Yeshua
Danielpour: Passion of Yeshua

Schon lange hat sich die Perspektive auf die im Neuen Testament überlieferte Passionsgeschichte verändert: Die kanonischen Texte der Evangelien erscheinen im 21. Jahrhundert in einem anderen Licht, etwa mit Blick auf die unterrepräsentierte Rolle der weiblichen Protagonisten oder einen latenten Antisemitismus. Richard Danielpour (*1956) begegnet dem in seiner «Passion of Yeshua» durch ein zweisprachiges Libretto – Hebräisch für den Tanach und Englisch (in zwei divergierenden Übersetzungen) für die Abschnitte aus den Evangelien – und macht in seinem einführenden Essay deutlich, wie lange und intensiv er eine angemessene musikalische Antwort auf die mit der Passion Jesu noch immer verbundenen Fragen suchte. Ob ihm das gelungen ist, werden die nächsten Jahrzehnte zeigen.

Es spricht jedoch einiges dagegen: Einmal abgesehen von der vorliegenden Interpretation, die bei aller Souveränität selten über längere Strecken Aufmerksamkeit weckt, ist es die groß angelegte, mehr als anderthalbstündige Partitur, an den Tonfall der 1940er Jahre erinnert. So wenig aufregend, spannend oder auch nur zeitgenössisch das für europäische Ohren anmutet, mag Danielpour an ein anderes Auditorium gedacht haben. Die insgesamt 14 Nummern ziehen jedenfalls angesichts des dokumentierten hohen Anspruchs seltsam matt vorüber. Dass im Schlusschor dann verschiedene Allusionen durchscheinen (Bach, Orff und orientalisch Inspiriertes) macht die Sache nicht besser. Aber vielleicht bildet für ein tieferes Verständnis dieses Werkes nicht nur der Atlantische Ozean ein gewisses Hindernis, sondern auch eine kulturgeschichtlich gewachsene andere Sicht auf die Passion Christi und deren Bedeutung. In einer auch musikalisch globalisierten Welt steht vieles nebeneinander, ohne dass es gleich ein Gegeneinander sein muss.


Richard Danielpour. The Passion od Yeshua (2017)
Hila Plitmann (Sopran), Matthew Worth (Bariton), Kenneth Overton (Bariton), J’Nai Bridges (Mezzo), Timothy Fallon (Tenor), James K. Bass (Bariton), UCLA Chamber Singers, Buffalo Philharmonic Chorus and Orchestra, JoAnn Falletta

Naxos 8.559885-86 (2019)

 

 

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 5 von 5 in Michael Kubes HörBar #030 – Passionen