9. Oktober 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Giuseppe Verdi: Ernani (Cappella Aquileia, Marcus Bosch)

Giuseppe Verdi: Ernani (Cappella Aquileia, Marcus Bosch)
Giuseppe Verdi: Ernani (Cappella Aquileia, Marcus Bosch)

Was wäre die Oper ohne glühende Rachegelüste? Höchste Dramatik verspricht in diesem Sinne jedenfalls Giuseppe Verdis Ernani. Auf der Bühne aktuell nicht so präsent wie andere seiner Werke (vom etwas früheren Nabucco bis zum 50 Jahre jüngeren Falstaff), steht die Partitur ganz unter dem Eindruck des Belcanto, weist aber auch fantastische Chorszenen auf. Im Zentrum des Librettos steht der Kampf um Elvira, um die gleich dreifach geworben wird: Don Carlo (der später zum Kaiser gekrönt wird und gnädig vergibt), der Graf de Silva (ihr älterer Onkel, der das traditionelle Gastrecht vor den Verrat stellt) und Ernani (der verschwörerische Graf Don Juan von Aragon), der am Ende nurmehr zwischen Dolch und Gift zu wählen hat. Eigentliche Verliererin ist am Ende Elvira mit ihren vielfach betrogenen und enttäuschten Gefühlen.

Aufgeteilt in vier Akte, die vor allem szenisch von Terzetten und groß angelegten Finali getragen werden, durchmisst Verdi raschen Schrittes das auf einem Drama von Victor Hugo basierende Libretto (auch wenn Uwe Schweikert in seinem Booklet-Essay auf dramaturgisch retardierende Momente hinweist). Es ist die Kraft der Gesangslinien und Harmonien, die alles mit höchster Intensität nach vorne treibt. Interpretatorisch setzen Marcus Bosch und die Cappella Aquileia bei ihrem auf lange Sicht hin angelegten Verdi-Projekt den schon vor einigen Jahren eingeschlagenen Weg konsequent fort: Nicht nur das Ensemble agiert stimmlich beeindruckend ausgewogen und musikalisch inspiriert auf hohem Niveau, auch der im Alltag vielfach nur „mitlaufende“ Orchesterpart erscheint im Detail ausgehört und mit einer gestalterischen Freiheit, wie man sie eben nur nach ausreichenden Proben erlangt. Es wird in den kommenden Jahren absehbar noch viel Gutes von diesem Zyklus der Heidenheimer Opernfestspiele zu hören sein. – Nur Beckmesser werden sich daran stoßen, dass bei der Track-Liste im Booklet die notwendige Akt-Einteilung fehlt.


Giuseppe Verdi: Ernani (1844)
Sung Kyu Park (Tenor), Marian Pop (Bariton), Pavel Kudinov (Bass), Leah Gordon (Sopran), Stephanie Henke (Sopran), Christoph Wittmann (Tenor), Lancelot Nomura (Bass), Tschechischer Philharmonischer Chor Brünn, Cappella Aquileia, Marcus Bosch

Coviello COV 91925 (2019)

 

 

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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