23. November 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Smyth & Delius / Villiers Quartet

Smyth & Delius / Villiers Quartet
Smyth & Delius / Villiers Quartet
Schaut man auf das Cover, so wird einem mal wieder bewusst: So mancher breit angelegte Steg führt auch einmal ins Nichts – wenn etwa kein Boot für weitere Expeditionen bereit steht. So auch bei diesem Album, das mit Blick aufs Repertoire eine wirkliche Bereicherung darstellt, zumal beide Werke vom Kontext her zusammen gedacht werden können. Allerdings wird einem der seltsam altertümliche topfige Klang aus den Ayriel Studios diese Einspielung vergällen. Da mag der Tonmeister womöglich nur wenig Erfahrung mit der Gattung und der Besetzung gehabt haben, doch hätte dann wenigstens der Produzent gegensteuern müssen. Dass jedenfalls das junge Villiers Quartet anders klingen kann, zeigte es bereits zuvor bei der wirklich schönen Einspielung mit Streichquartetten von Delius (dem bekannteren Werk) und Elgar (2017 ebenfalls bei Naxos erschienen). Man fragt sich schon, wie so etwas heute noch passieren kann.

Vielleicht wirkte der Überschwang nach, der mit dem frühen Streichquartett von Frederick Delius (1862–1934) verbunden war: Dessen erste beiden Sätze galten nämlich als verloren, bis sie 2018 bei einer Auktion wieder auftauchten. Das Villiers Quartet nahm sich dann 2020 dieser Rarität an (welchen Umfang die Rekonstruktion von Daniel M. Grimley hat, bleibt bei der Produktion leider offen). Beide Werke sind nicht ohne das im Konservatismus erstarrte Leipziger Konservatorium zu denken, aus dem Ethel Smyth nach nur einem Jahr in die Privatstunden zu Heinrich von Herzogenberg geradezu floh, und das Delius für zwei Jahre ertrug. Beide Werke zeigen die Komponist:innen als eigenständige Stimmen auf herausragendem technischen Niveau; bei Delius kam noch die Begegnung mit dem geradezu symphonischen Quartett op. 27 von Edvard Grieg hinzu. – Was bleibt, ist eine tontechnisch in den Sand gesetzte Chance. Dem Ensemble ist das nur sehr bedingt anzukreiden – wohl aber dem Label, das so etwas am Ende auf den Markt bringt. Schade bis ärgerlich.

Ethel Smyth. Streichquartett e-Moll op. 1 (1902/12); Frederick Delius. Streichquartett c-Moll (1888) (rekonstruiert von Daniel M. Grimley)
Villiers Quartet

Naxos 8.574376 (2022)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 3 von 4 in Michael Kubes HörBar #114 – Stege