23. November 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Sperger / Kammerakademie Potsdam

Sperger / Kammerakademie Potsdam
Sperger / Kammerakademie Potsdam
Schon lange ist Johannes Matthias Sperger (1750–1812), der zuletzt in der Hofkapelle des Mecklenburg-Schweriner Herzogs tätig war, kein Unbekannter mehr – und zwar sowohl auf dem Kontrabass wie auch als versierter Komponist seiner Zeit. Geläufig ist vielleicht seine «Anfangs-Sinfonie» (ein originelles Spiegelbild von Haydns «Abschieds-Sinfonie»); die Solokonzerte für «sein» Instrument haben es jedoch in sich. Auch der verschrobene Charakter in Patrick Süskinds Einakter Der Kontrabaß weiß darüber ein kurzes Klagelied anzustimmen. Beim Label cpo hat Spergers Musik seit einigen Jahren einen festen Platz, so dass aus dem Bereich der Kammermusik nun die drei Streichquartette op. 1 hinzugekommen sind. Gedruckt wurden sie 1791 – und sie erscheinen mit Blick auf dieses Jahr erstaunlich verspätet. Unklar ist, wann die Werke entstanden sind; möglicherweise Mitte der 1780er Jahre. Daher macht es wenig Sinn, wenn der um den Komponisten verdiente Klaus Trumpf in seinem Booklet-Essay in der bloßen Wiederholung von «Themenfloskeln» (Motiven?) ein «Merkmal der Vorklassik» ausmacht und nur wenig später eine «Nähe zu Haydn und Mozart» feststellt. Vollkommen an der diskographischen Realität geht gar die allgemeine Aussage vorbei, dass es «Aufnahmen von Streichquartetten […] tatsächlich erst seit etwa der Zeit um 1950» gäbe. Hier ist nicht nur das «tatsächlich» zu streichen, sondern besser gleich der gesamte Absatz.

Der Musik und dem Komponisten wird mit diesen fragwürdigen Aussagen ein Bärendienst erweisen. Eher wären konkrete Vergleiche zum Repertoire der Zeit zu ziehen – und da waren es nicht nur Haydn und Mozart, die sich mit dem Streichquartett auseinandersetzten, auch wenn ihre Werke bereits um die Wende zum 19. Jahrhundert als prägende Muster verstanden wurden. Ganz übersehen werden all die anderen Quartettkompositionen jener Zeit, die ebenfalls als «Opus 1» erschienen (und schon 1974 von Ludwig Finscher kursorisch gelistet wurden). Musikalisch nimmt sich das in der Kammerakademie Potsdam beheimatete Ensemble mit Zuneigung und Liebe der Werke an. Hörbar wird das in der differenzierten Dynamik und Artikulation, dem bewusst gestalteten Spannungsverlauf der Sätze. Dennoch (und wieder einmal): Die Formation klingt etwas zu indirekt und mir damit zu wenig kammermusikalisch. Eine Kirche ersetzt als Location weder eine fürstliche Kammer noch den bürgerlichen Salon.

Johannes Matthias Sperger. Streichquartette op. 1/1–3
Mitglieder der Kammerakademie Potsdam

cpo 555 470-2 (2021)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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